Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
Liebende, Glücksbringer, zweifelhafte Wahrsagereien und glitzernden Nippes.
»Dieses Jahr will sich keiner die Zukunft vorhersagen lassen«, sagte Carroway, als er hinter Tris auftauchte. Eine Reihe von Trauernden, die Puppen und Marionetten trugen, die den Toten ähnelten, wanden sich singend durch die Menge und den wilden Klang der Glocken.
»Du wärest eine schönere Leiche gewesen als das da«, sagte Soterius und nickte den Puppen zu, die von mehreren der dunkel gewandeten Feiernden getragen wurden. »Aber verdammt nochmal, du bist schwer!«
Selbst jetzt noch waren Tris’ Erinnerungen an die Flucht verschwommen, mit Ausnahme des Bildes der kindlichen Göttin, die mit ihren stechenden, bernsteinfarbenen Augen aus der Menge zu ihm herübergestarrt hatte und deren gemurmelter Gesang ihn geheilt hatte.
Das Feuer im Hof brannte jetzt lichterloh und Feiernde tanzten darum herum. In den Flammen verbrannten auch aromatische Kräuter, um den Rauch duften zu lassen. Gratulanten warfen kleine, farbige Lumpen in die Glut, Symbole der Hoffnung für das kommende Jahr. Sie verließen sich darauf, dass ihre Gebete erhört wurden, wenn Ascheflocken und glühende Funken im Wind aufstoben und in den Nachthimmel wirbelten. Die Palastgeister, heute so präsent wie die Soldaten, schienen entschlossen, ihre Abwesenheit letztes Jahr wieder gutzumachen. Tris’ Hunde genossen die Feier, sie taten sich an heruntergefallenen Würstchen und an den Gaben mancher Festgäste gütlich. Die Dogge und die beiden Wolfshunde kamen herangetrottet, um Tris zu begrüßen, und warteten darauf, dass er ihnen über den Kopf strich und einen Leckerbissen für sie bereithielt.
»Hier, ihr gierigen Köter!« Carroway lachte und warf jedem von ihnen einen Keks aus seiner Tasche zu. Die Hunde schnappten die Leckerbissen aus der Luft und sahen ihren Herrn dann erwartungsvoll, in der Hoffnung auf weitere, an.
Tris lächelte. »Los, holt euch etwas«, sagte er und streichelte die Hunde liebevoll. »Aber beschwert euch nicht bei mir, wenn ihr zu vollgestopft seid und dann Bauchschmerzen habt!« Die Hunde wedelten mit dem Schwanz und sprangen in die Menge davon.
Als Tris aufsah, erblickte er auf der anderen Seite des Hofs ein junges Mädchen in einem weißen Kleid. Tris sah in ihre bernsteinfarbenen Augen und wusste, dass es das Kind war.
»Selbst mit meinem Segen ist dein Weg nicht sicher. Leid und Hindernisse werden dir auf deiner Reise begegnen. Hüte deine Seele gut.«
Tris blinzelte und das Mädchen war fort.
»Tris? Tris!« Carroway schüttelte Tris am Arm. »Sag mir nichts. Ich schlafe besser, wenn ich’s nicht weiß. Aber du hast sie wieder gesehen, nicht wahr? Die Lady. Wie letztes Jahr.«
»Ich glaube, dieses Mal wird Glück nicht reichen.«
KAPITEL 8
A n den meisten Tagen war Shekerishets große Halle leer. Zwischen ihr und der Küche befand sich ein kleinerer Raum für die Dienerschaft, wo Carroway und seine Musikanten häufig übten. Der Raum blieb dank der großen Küchenherde warm und es war für die Musikanten leicht, sich während langer Übungssitzungen eine Kanne Tee oder ein paar Brotlaibe und Käse zu nehmen.
Die Gerüche nach würzigem Wildeintopf und frisch gebackenem Brot wehten von der Küche herein, während Carroway versuchte, eine widerspenstige Saite auf seiner Laute zu stimmen.
»Brauchst du jemanden, der zuhört?« Macaria warf sich ihre dunklen Stirnlocken aus den Augen, als sie die Leier von den Schultern gleiten ließ und ihren Mantel über den Stuhl warf.
»Das wäre wunderbar.«
Macaria nahm die Laute. Sie summte und zupfte konzentriert die Saiten. Die Wirbel begannen sich kaum merklich von allein zu drehen, bis die geschlagene Saite den gleichen Ton von sich gab wie Macarias Stimme. Grinsend gab sie die Laute zurück.
»Egal, wie oft ich das sehe, ich werde jedes Mal eifersüchtig.«
»Na ja, dazu besteht kein Grund.« Macarias Wangen überzogen sich mit einem leichten Rotton. »Das ist die einzige Magie, die ich besitze.«
Carroway lächelte und sah sie an. »Das würde ich nicht sagen.«
»Wie immer muss ich mich für meine Verspätung entschuldigen.« Helki war ins Zimmer gekommen. Sein blondes Haar, vom Herbstwind zerfahren, fiel ihm strähnig ins Gesicht. Er schichtete sein Gepäck in einem unordentlichen Haufen auf den nächstbesten Tisch: einen schweren Mantel, einen Beutel mit Noten, einen Weinschlauch und die Kästen für seine Flöte und das Hackbrett. Mit einem Grinsen langte er in die Küche
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