Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
der Ostmark seit zwanzig Jahren kein Treffen gegeben. Wir haben aus Höflichkeit eine Einladung verschickt, aber ich hätte nie erwartet, dass sie kommen.«
Tris holte tief Luft und straffte seine Schultern. Er wollte nichts so sehr wie die Chance, diesen politischen Angelegenheiten des Hofes zu entschlüpfen und ein paar private Worte mit Kiara zu sprechen. Aber das würde in den nächsten Stunden nicht mehr passieren. »Nun, sie sind hier. Und wir werden sicherstellen, dass sie keinen Krieg mehr anzetteln.«
Tris wartete außerhalb der großen Halle, bis Crevan und die Herolde sein Kommen geziemend angekündigt hatten. Er war nervös bei der Aussicht, Kalcen zu treffen. Die Ostmark war, wenn schon nicht abgeschottet, so doch sehr zurückgezogen. Sie war bekannt für ihre militärische Präzision und unterhielt regen Handel, aber ihre Leute blieben unter sich. Nur wenige Außenstehende verstanden die Art der Ostmarkler.
Die Türen schwangen auf.
»Ich grüße Euch, König Kalcen«, sagte Tris mit einer flüchtigen Verbeugung.
»Ich grüße Euch, König Martris«, erwiderte Kalcen. »Wir wären gerne schon früher gekommen, aber der Schnee in der Ostmark liegt schon hoch. Die Pässe waren schwer zu passieren.«
»Der Lady in all ihren Gesichtern sei Dank für Eure sichere Ankunft«, sagte Tris.
König Kalcen von Ostmark war eine imposante Erscheinung. Er war um ein Geringes größer als Tris und er war mindestens fünfzehn Sommer älter. Seine dunkle Haut von der Farbe gebrannten Kerifs, die von den Furcht erregenden Nomadenkriegern der fernen östlichen Ebenen abstammte, machte seine Angehörigkeit zum regierenden Adel der Ostmark und damit zur ungebrochenen Königslinie deutlich. Langes, rabenschwarzes Haar umrahmte ein kantiges Gesicht. Um Kalcens Schultern lag ein Umhang von schwarzem Stawar-Fell, der unter seinem Kinn mit einer kostbaren, mit großen Juwelen besetzten Goldfibel geschlossen war. Unter dem Mantel trug Kalcen fließende Gewänder von tiefem Ocker. Gold glänzte an jedem seiner Finger und er trug weite, goldene Manschetten am Arm, in die Runen eingelegt waren. Kalcens Krone zeigte einen brüllenden Stawar, der aus Gold gearbeitet war.
Die linke Seite von Kalcens Gesicht war von einer kompliziert gestalteten Tätowierung gezeichnet: ein Wappen, wie Tris wusste, das sowohl seinen Rang als auch die edle Herkunft des Trägers anzeigte. Zwischen den goldenen Manschetten und den ockerfarbenen Ärmeln seines Gewands konnte Tris weitere dieser Zeichnungen erkennen. Um seinen Anspruch auf die Krone zu demonstrieren, hatte Kalcen eine ganze Reihe von mystischen Visionen und Questen durchmachen müssen, eine brutaler und gefährlicher als die andere. Jede bestandene Prüfung hatte ihm das Recht eingebracht, einen weiteren Teil der Familiengeschichte in seine Haut eintätowiert zu bekommen, sodass er selbst zu einer lebenden Historie und einem Zeugnis seiner eigenen Leidensfähigkeit, seiner Tapferkeit und seiner Stärke geworden war. Tris dachte an all die Narben, die ihm sein eigener Kampf um den Thron eingetragen hatte. Er neidete Kalcen seine Reise nicht.
Kalcens Augen waren so schwarz, dass es schwierig war, ihre Pupillen zu sehen. Tris spürte ein sanftes Kitzeln von Magie. »Ich wollte den Mann treffen, der meine Nichte heiraten wird.«
Er sieht die Wahrheit , erkannte Tris und identifizierte gleichzeitig das Prickeln der Magie. Er fühlte keine Bedrohung und erlaubte Kalcen die leichte, magische Berührung. Kalcen schien an den kleinen Freundlichkeiten, die das Protokoll vorschrieb, keinen Gefallen zu finden. Aber statt sich davon beleidigt zu fühlen, war Tris erleichtert. »Ich liebe Kiara von ganzem Herzen«, sagte er. »Ich würde mein Leben dafür geben, um sie vor Leid zu bewahren.« Tris hoffte, dass sein Gegenüber mit dem zufrieden war, was er spürte.
»Selbst in der Ostmark habe ich viel von Euch gehört, Bricens Sohn. Um meiner verstorbenen Schwester, der Königin Viata von Isencroft willen, bin ich gekommen, um Euch meinen Respekt zu bezeugen.«
Tris verbeugte sich förmlich. »Ihr seid sehr willkommen. Wir sind von Eurer Anwesenheit geehrt.«
Kalcen hatte einen sehr direkten Blick, der nichts verbarg, und Tris erwischte sich dabei, dass er seinen unerwarteten Gast mochte. »Die alten Sitten ändern sich in den Winterkönigreichen. Unsere Welt ist nicht mehr die, die unsere Väter kannten. Unsere Wege können nicht mehr die ihren sein. Diese Hochzeit schafft Blutsbande zwischen
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