Fiona
Dann legte er sein Wams ab, zog sein Hemd aus der Strumpfhose und schnitt Tuchstreifen vom Saum ab, mit denen er eine Plattform bastelte, die er unter die Steine schob.
»Warum sucht niemand nach Euch? « fragte er, während er Zweige und Stoff zusammenfügte.
»Vielleicht tun sie es, ich weiß es nicht. Ich habe in der vergangenen Nacht von Euch geträumt. «
Er warf ihr einen scharfen Blick zu, sagte aber nichts. Mädchen schienen überall von der romantischen Idee erfüllt, daß Ritter sie aus einer Notlage befreiten. Es war schwer für einen Mann, solchen romantischen Hirngespinsten gerecht zu werden.
»Ich träumte«, fuhr sie fort, »von diesem Wald und diesem Fluß. Ich sah Euch in meinem Traum und wußte, daß Ihr kommen würdet. «
»Vielleicht war der Mann in Euren Träumen blondhaarig und hatte daher eine Ähnlichkeit mit mir«, sagte Roger im gönnerhaften Ton.
»Ich habe viele Dinge im Traum gesehen. Die Narbe unter Eurem Auge — Ihr habt sie bekommen, als Ihr noch ein Knabe wart. Euer Bruder hat sie verschuldet. «
Unwillkürlich ging Rogers Hand zu der halbmondförmigen Narbe unter seinem linken Auge. Er hatte damals fast sein Auge verloren, und nur wenige Leute, die wußten, wie er zu dieser Narbe gekommen war, lebten noch. Er bezweifelte sogar, daß Fiona den Hergang kannte.
Christiana lächelte nur über seinen überraschten Blick. »Ich habe mein ganzes Leben lang auf Euch gewartet. «
Roger schüttelte den Kopf, damit sein Verstand wieder klar wurde. »Das war ein glücklicher Zufall«, sagte er. »Das mit der Narbe, meine ich, daß Ihr das erraten habt. Nun haltet ganz still, während ich diese Steine abstütze. « Es war eigentlich nicht nötig, ihr einzuschärfen, stillzuhalten, da sie sich seit seiner Ankunft kaum bewegt hatte.
Es waren ziemlich große Steine, und Roger kam sogar ins’ Schwitzen, ehe er den größten davon zu bewegen vermochte. Und selbst dann rollte er ihm aus den Händen, und noch weitere Steine polterten von oben auf die schwache, improvisierte Plattform herunter, die er sich zurechtgebastelt hatte. So schnell wie ein Blitz sprang er Christiana an, warf sie nach hinten und rollte sie von den herunterpolternden Felsblöcken weg. Noch mitten in der Bewegung hörte er, wie sie scharf die Luft einsog, weil die Steinlawine ein. Stückchen Haut von ihren Beinen riß.
Das Poltern der Steine erfüllte die Luft, und Roger bedeckte Christianas Körper mit seinem eigenen und schützte sie vor fliegenden Steinsplittern und Steinstaub. Als die Gefahr vorbei war, schickte er sich an, sich wieder von ihr zu lösen, doch sie legte ihm die Hände seitlich an den Kopf und zog seine Lippen zu ihrem Mund hinunter.
Lange hatte Rogers ganzes Sinnen und Trachten dem Ziel gegolten, seinen Bruder und seine Schwester zu ihm zurückzuholen, und er hatte nie Zeit für Frauen gehabt. Er hatte nicht gewußt, wie sehr sich geheime Wünsche in ihm aufgestaut hatten. Einmal, vor Jahren, war er fast ein unbekümmerter Mann gewesen, der mit den hübschen jungen Mädchen gelacht, sich bei geheimen Verabredungen mit ihnen gebalgt hatte. Doch sein Zorn auf die Montgomerys hatte ihm diese Unbekümmertheit geraubt.
Als seine und die Lippen des Mädchens sich berührten, war Rogers erster Gedanke: sie ist eine Frau. Sie mochte vielleicht noch ein bißchen kindlich wirken, doch sie war ein weibliches Wesen und hatte ernsthafte Absichten. Sie küßte ihn mit solcher Leidenschaft, daß er vor ihr zurückwich.
»Wer seid Ihr? « flüsterte er.
»Ich liebe dich, und ich habe mein ganzes Leben auf dich gewartet. «
Roger, der über ihr lag, blickte ihr tief in die dunklen Augen — Augen, die offenbar versuchten, seine Seele aus seinem Leib herauszuziehen, und das erschreckte ihn. Er löste sich von, Ihr. »Wir sollten Euch jetzt lieber zu Euren Eltern zurückbringen. «
»Ich habe keine Eltern«, sagte sie, sich aufsetzend.
Roger wich ihrem Blick aus, der ihm Verrat vorzuwerfen schien. Eine Hälfte von ihm wollte vor dieser seltsamen Frau flüchten, und die andere Hälfte wollte auf Leben und Tod darum kämpfen, daß sie an seiner Seite blieb.
»Laßt mich Euren Knöchel untersuchen«, sagte er schließlich.
Gehorsam hob sie das Bein und hielt ihm den Fuß unter die Augen.
Er runzelte die Stirn, als er die Prellungen und Schnitte sah und das Blut, das ihr über den Fuß lief. »Warum habt Ihr mir diesen Fuß nicht sofort gezeigt? « fuhr er sie an.
»Hier« - er gab ihr den Dolch zurück —,
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