Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
ihrer zarten Schulter und frage mich, ob er sie überhaupt schon einmal berührt hat. Zumindest in den letzten fünf Jahren hat er das nicht, das weiß ich. Vorher bestimmt irgendwann mal. Damals, als wir noch Kinder waren und man einfach miteinander spielte und jemanden einfach mochte oder eben nicht.
Damals war alles noch einfach. Bevor ich mich verwandelt habe und Tamra nicht. Bevor das Rudel in ihr nur eine kaputte Draki gesehen hat, die nicht funktioniert.
Ich atme tief durch und rede mir ein, dass es in Ordnung ist, dass er sie anfasst. Das muss noch lange nichts heißen, und selbst wenn doch, selbst wenn Tamra und Cassian zusammenkommen würden, wäre das so schlimm? Sie bekommt, was sie schon immer wollte, wen sie schon immer wollte. Ich kann ihr dieses Glück nicht missgönnen. Früher hat sie viel zu wenig davon gehabt.
Und es würde auch nicht automatisch bedeuten, dass ich mit Corbin vorliebnehmen müsste. Egal, was er sagt. Ich kann genauso gut der Feuerspeier des Rudels sein, ohne jemanden zu heiraten. Da liegt Corbin falsch.
Ich befeuchte meine Lippen und sage: »Ich schulde dir ein großes Dankeschön, Tamra.«
Sie blinzelt mit ihren eisigen Augen. »Wofür?«
»Dass du uns in Chaparral gerettet hast.« Dass du mich hier gerettet hast, denke ich, spreche es aber nicht aus. Ohne sie hätte ich wahrscheinlich das volle Ausmaß des Zorns des Rudels zu spüren bekommen.
»Du bedankst dich bei mir? Das ist aber mal eine Überraschung! Ich war der Meinung, dass du nicht gerade glücklich darüber bist, dass ich Wills Erinnerungen gelöscht habe.«
Ich atme flach ein. »Du hast getan, was du tun musstest. Das weiß ich.«
»Ja. Ich schon.«
Ich zucke zusammen, weil sie damit eindeutig sagen will, dass ich das nicht getan habe. Ich habe nicht das getan, was ich hätte tun sollen. Ich habe mich vor Jägern verwandelt, um Will zu retten. Und es sieht nicht so aus, als würde sie mir diesen Fehltritt verzeihen.
Voller Unbehagen blicke ich zu Nidia hinüber, die noch immer auf der Fensterbank sitzt. Sie scheint sich auf ihr Strickzeug zu konzentrieren, doch ich bin nicht so naiv zu glauben, dass sie nicht jedes Wort mitbekommt und auch zwischen den Zeilen liest.
Als würde sie sicherstellen wollen, dass ich sie auch wirklich verstanden habe, fragt Tamra: »Aber du nicht unbedingt, oder? Du hast nicht gerade das getan, was du eigentlich hättest tun sollen.«
»Tamra«, sagt Cassian warnend, als würde er mich beschützen wollen. Vor meiner eigenen Schwester. Das Ironische daran ist, dass ich Tamra jahrelang vor ihm in Schutz genommen habe. Auch wenn es ihm nicht bewusst war, hat er sie mit seiner kaltherzigen Gleichgültigkeit ständig verletzt.
»Halt dich da raus«, knurre ich.
»Komm mit, Cassian.« Nidia steht auf und macht eine Kopfbewegung in Richtung Tür.
Cassian nickt. Zusammen gehen sie nach draußen und lassen uns allein, damit wir uns aussprechen können.
Ich rücke näher an die Couch heran und sitze Tamra jetzt gegenüber. »Ich will mich nicht mit dir streiten.«
Ihr Gesichtsausdruck wird sanft. »Ich auch nicht.«
»Also dann«, sage ich flach. »Wie geht’s dir? Wie kommst du mit … alldem klar?«
»Ganz gut.« Sie sieht aus dem Fenster. Die Luft davor wird von Minute zu Minute trüber. Nach einer Weile blickt sie mit ihren eisigen Augen wieder zurück zu mir. »Komm doch heute Abend mit. Wir sind noch nie zusammen geflogen. Ich hätte dich gern dabei.«
»Na klar«, willige ich ein. Fliegen heitert mich immer auf und gibt mir Kraft. Das kann ich jetzt gut gebrauchen. »Wann fängt Nidia mit deinem Training an?«
»Wir haben eigentlich schon angefangen«, sagt sie lachend. »Im Prinzip besteht es daraus, dass sie mir jede Menge erzählt und mir ab und zu etwas vorführt. Sie sagt, dass ich es bald wieder selbst versuchen darf.«
Eine bessere Vorlage hätte ich mir nicht wünschen können. »Wo wir gerade dabei sind – was glaubst du, wie viel Schaden du an dem Abend angerichtet hast?«
Sie blinzelt mit ihren kristallklaren Augen, die in dem Moment wirken, als wären sie nicht von dieser Welt. Es kommt mir vor, als schauten sie mich durch eine Art Schleier an, während sich die richtige Tamra irgendwo darunter verborgen hält.
»Schaden?«
Ich zucke zusammen. Zu spät wird mir klar, dass ich ein besseres Wort hätte wählen sollen. Ein netteres Wort. Ihre Gabe ist ein Geschenk, jede Drakigabe ist das. Zumindest wird uns das seit der Grundschule beigebracht. Sogar
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