Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
erwarten, dass er seine kleine Schwester in die Schranken weist. Trotzdem hoffe ich, als ich ihn entschlossenen Schrittes durch die Tür gehen sehe, dass er sie davon abhalten kann, das zu verbreiten, was Cassian selbst versucht hat, vor dem Rudel geheim zu halten. Um meinetwillen. Aber ich bezweifle, dass er es tatsächlich kann.
Miram konnte mich noch nie besonders gut leiden. Wenn man dazu noch ihren Hang zu Klatsch und Tratsch bedenkt, weiß bestimmt schon die halbe Stadt davon. Und sie ist ein Visiocrypter. Sie kann sich selbst unsichtbar machen und ihre Anwesenheit verbergen, wann immer ihr danach ist. Sosehr ich Klischees verabscheue, aber solche Drakis neigen von Natur aus zu Unehrlichkeit.
Das, wovor Cassian versucht hat, mich zu bewahren, ist jetzt unausweichlich. Jeder wird wissen, dass der Feuerspeier des Rudels sein Herz an einen Jäger verloren hat. Vielleicht begnadigt man mich und erspart mir ein Flügelstutzen, aber sie werden mir niemals verzeihen und mich nie wieder als eine von ihnen betrachten.
Panik steigt in mir hoch, als ich höre, wie Cassians Schritte sich draußen entfernen. Ich eile zur Tür und sehe ihm nach, bis er im morgendlichen Nebel verschwindet.
Als ich mich wieder umdrehe, treffe ich auf Nidias mitleidigen Blick. Seit wann bin ich jemand, den man bemitleiden muss? Das ist neu für mich. Ganz offensichtlich bin ich niemand mehr, der von den anderen beneidet wird.
Tamra starrt in ihre Tasse und bringt es nicht fertig, mir in die Augen zu sehen. Das nervöse Zucken ihrer Finger sagt mir, dass ihr leidtut, was sie da gerade gesagt hat – was Az und Miram mit angehört haben.
»Hey.« Ich zwinge mich dazu, meine Stimme normal und sogar fröhlich klingen zu lassen. »Schau nicht so traurig.«
Sie hebt den Blick. Ihre Augen glitzern wie Eis. »Es tut mir so leid, Jacinda. Das, was ich gesagt habe … dass sie es mitbekommen haben …«
Ich gehe zu ihr, setze mich neben sie auf die Couch und umarme sie. »Das ist nicht deine Schuld.« Ich streiche ihr in sanften Kreisbewegungen über den Rücken.
»Nichts von alldem ist deine Schuld.«
Die Einzige, der ich die Schuld an allem geben kann, bin ich.
Die Schule im Rudel ist ganz anders als eine Schule für Menschen. Wir gehen das ganze Jahr über hin, dafür aber nicht den ganzen Tag, und je nach Lehrplan vielleicht auch nur einige Tage in der Woche.
Zusätzlich hat jeder bestimmte Aufgaben, die er erledigen muss, damit das Rudelleben funktioniert. Wir bauen verschiedene Getreidesorten an, werfen in den Gebirgsbächen Fischernetze aus und jagen manchmal nach Fleisch. Außerdem reparieren wir unsere Gebäude und Zäune, halten sie instand und kümmern uns natürlich ständig um die Außenmauer, die wir bepflanzen, damit sie wie natürlicher Wildwuchs aussieht.
Obwohl wir während unserer sporadischen Ausflüge in die Menschenwelt Lebensmittel einkaufen, muss sich das Rudel im Notfall selbst versorgen können. Deshalb gehe ich vor dem Nachmittagsunterricht hinüber zur Bibliothek, um die mir zugeteilte Aufgabe wieder aufzunehmen.
In der Bibliothek zu arbeiten ist eine der begehrtesten Tätigkeiten. Es ist wesentlich angenehmer, als ein Feld zu pflügen oder die Abwasserkanalisation des Rudels instand zu halten.
Die Bibliothek befindet sich gleich neben der Schule. Die beiden Gebäude sind durch einen überdachten Gang miteinander verbunden. Die Tür gibt einen einzigen Klingelton von sich, als ich sie aufmache, hindurchgehe und mich darauf freue, Taya, die Bibliothekarin, zu sehen. Sie ist eine der ältesten Drakis im Rudel und redet nicht viel. Sie zieht die Gesellschaft eines Buches der von Personen vor, aber in all den Jahren, die ich ihre Assistentin war, hat sich zwischen uns eine Art Kameradschaft entwickelt.
Für mich ist sie immer eine nie versiegende Informationsquelle gewesen. Sie ist nicht einfach nur die Bibliothekarin des Rudels, sondern auch die Geschichtsschreiberin und dafür verantwortlich, alle wichtigen Ereignisse im Großen Buch des Rudels festzuhalten.
Als ich hineinkomme, sieht sie von einem riesigen Buch mit Ledereinband auf. In einer Hand hält sie einen Stift. Eine Seite wird umgeblättert, so sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings und ohne dass sie sie berührt hätte.
Sie muss die Seiten, die sie umblättern will, nie wirklich berühren. Als Erddraki beherrscht sie alle Dinge, die von der Erde kommen. Da die Seiten eines Buches aus dem Holz von Bäumen gemacht werden, muss sie in der
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