Firelight 2 - Flammende Träne (German Edition)
triftiger Grund ein, weshalb ich dieses Angebot ausschlagen könnte. Ich zucke deshalb nur kurz mit den Schultern und gehe weiter. Der Nebel wabert um meine Knöchel herum. An einigen Häusern hat man zum Schutz vor der morgendlichen Kühle die Fensterläden geschlossen.
Ich kann mich nicht erinnern, das Rudel jemals so still erlebt zu haben. Sogar so früh am Morgen war immer etwas los. Diese ungewöhnliche Stille lässt ein unheimliches Gefühl in mir aufsteigen. Plötzlich wirkt die von Weinlaub überwachsene Mauer um die Siedlung herum nicht mehr wie ein Schutzwall, sondern eher wie ein Käfig.
»Diese Stille«, murmle ich.
»Ja. Ist noch Ausgangssperre. Man darf das Haus erst ab sieben wieder verlassen.«
»Was machst du dann hier draußen?«
»Ich gehöre zur Morgenpatrouille.« Er zeigt auf das blaue Band um seinen Arm. Das war mir bis jetzt nicht aufgefallen.
»Patrouille«, wiederhole ich wie betäubt und starre auf das blaue Stück Stoff. »Das wusste ich nicht. Soll ich wieder zurückgehen und warten, bis –«
»Ach was. Ich häng dich nicht hin.« Mich hinhängen?
Er lächelt mich an, als ob das ein besonderes Geschenk für mich wäre. Ich bringe es nicht fertig, sein Lächeln zu erwidern. Ich will keine Geschenke von ihm. Morgen werde ich das Haus ganz sicher erst nach sieben verlassen.
Ich wende mich von ihm ab und gehe weiter.
»Echt cool, das mit deiner Schwester«, sagt er und hält mit mir Schritt.
»Ja, schon.«
Er wirft mir einen Seitenblick aus seinen nachtschwarzen Augen zu. »Das klingt nicht gerade so, als ob du dich freuen würdest.«
»Um ehrlich zu sein, habe ich noch keine Zeit gehabt, das Ganze zu verarbeiten.«
Er nickt, als würde er das verstehen. »Das wird sicher eine Riesenumstellung.«
»Ja. Nidia wird Tamra helfen, das alles durchzustehen –«
»Ich meinte, eine Umstellung für dich«, wirft er in einem widerlich schmierigen Ton ein.
Ich spüre den unregelmäßig flatternden Puls in meiner Halsschlagader. »Für mich?«
Mit den Schuhen schiebt er losen Kies über den Weg. Das Geräusch geht mir durch Mark und Bein. »Ja. Jetzt bist du nicht mehr die Hauptperson hier.«
Ich beschleunige meinen Schritt, eile an der Schule und dem Versammlungshaus vorbei und will so schnell wie möglich bei Nidia ankommen. »Das war ich noch nie.«
»Doch, das warst du. Aber jetzt seid ihr zu zweit. Du hast Konkurrenz bekommen.«
Ich bleibe stehen und sehe ihm ins Gesicht, obwohl ein Teil von mir einfach noch schneller laufen und ihn abhängen will. Entweder das oder ihm eine reinhauen.
Er zieht eine seiner goldenen Augenbrauen hoch. »Ich meine ja nur.« Er macht eine vage Geste. »Cassian kann euch schließlich nicht beide haben.«
Ich durchbohre ihn mit meinen Blicken. Er zuckt nicht zusammen, schaut noch nicht einmal weg.
Ich verschränke die Arme vor der Brust und beschließe, es auf den Punkt zu bringen. »Was heißen soll, dass du jetzt Chancen bei einer von uns hast?«
Er setzt wieder dieses falsche Lächeln auf und plötzlich verabscheue ich ihn – diesen habsüchtigen, machtgierigen Jungen, der in mir oder meiner Schwester eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs sieht. Ich hasse ihn dafür, dass er denkt, er könne von jedem Besitz ergreifen, den Cassian nicht will. Weil Cassian einfach wählen kann, wen er will. Und Corbin die Reste aufsammelt wie ein Hund, der nach etwas Essbarem sucht. Vor Wut spannen sich meine Muskeln an. Ganz bestimmt nicht!
Ich schnaube verächtlich, drehe mich um und gehe weiter. Meine Schritte sind jetzt noch schneller und bohren sich kräftig in den Boden. »Das kannst du vergessen«, rufe ich über die Schulter hinweg.
»Du kannst nicht einfach davor weglaufen, Jacinda. Jetzt nicht mehr.«
»Wovor?« Ich drehe mich auf dem Absatz um und will ein für alle Mal Klarheit darüber, was er damit meint.
»Wenn du nicht mit Cassian zusammenkommst, wird mein Onkel als Nächstes auf mich setzen. Wir könnten gut zusammenpassen, Jacinda.«
»Das kann nicht dein Ernst sein.«
Seine Brust schwillt selbstgefällig an. »Meine Familie regiert dieses Rudel seit vier Jahrhunderten. Nicht einmal dein Vater konnte uns entmachten.«
»Was weißt du über meinen Vater?«, greife ich ihn an.
»Nur das, was man mir erzählt hat. Bevor er verschwunden ist, hat er meinen Onkel ständig herausgefordert. Vergeblich. Meine Familie ist am besten dafür geeignet, über dieses Rudel zu herrschen. Wir sind schon immer die Stärksten gewesen … und wir
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