Firelight 3 - Leuchtendes Herz (German Edition)
sind. Die Zeit scheint stillzustehen. Ich habe das Gefühl, im tiefsten Inneren der Erde gefangen zu sein. Will wird langsamer. Meine Augen haben sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, doch ich kneife sie trotzdem zusammen, als ich durch den grobkörnigen Staub zu ihm blicke. Mit einer Geste bedeutet er mir, stehen zu bleiben.
»Wartet hier. Ich komme gleich wieder.«
Ich tue, was er sagt, und strecke einen Arm zur Seite, um den anderen zu signalisieren, dass sie ebenfalls haltmachen sollen. Will setzt sich in Bewegung und beschreibt mit seinen Schritten eine leichte Kurve, bis ich ihn in der wabernden Staubwolke aus den Augen verliere.
Dann stehen wir allein im Dunkeln. Ich kann die Atemzüge der anderen neben mir spüren, feucht und rau in der knisternden Luft. Erdpartikel schweben wie Feenstaub um uns herum. Ich schrecke auf, als Wills Stimme endlich sagt: »Kommt mit! Die Luft ist rein!«
Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und folgen schnell dem Pfad, den er für uns gebahnt hat. Ich gehe an der Spitze unserer Mädchengruppe über den unebenen Boden und sehe als Erste das Licht vor uns. Es ist, wie bei strahlendem Sonnenschein aufzuwachen. Ich blinzle, kneife die Augen zusammen und schirme sie mit der Hand ab. Zwischen der sich links und rechts von uns auftürmenden, zusammengepressten Erde kann ich in der Ferne eine dunkle Öffnung ausmachen. Lange Wurzeln und Gras baumeln von ihrem oberen Rand herab.
Will kann ich jedoch nirgendwo sehen. Er ist verschwunden und einen Augenblick lang wird es mir eng ums Herz. Mein Puls flattert panisch. Dann erscheint sein Gesicht auf einmal in der Öffnung, die gerade groß genug für seine Schultern ist. »Los, beeilt euch. Wir sind nicht weit von der Stelle entfernt, an der wir den Transporter abgestellt haben.« Er wirft uns auffordernd ein paar Kleidungsstücke zu.
Wir verwandeln uns schnell und schlüpfen in die Klamotten, die Will uns gebracht hat.
Ich gebe Lia ein Sweatshirt und eine Hose und halte inne, als ich sie zum ersten Mal als Mensch sehe. Sie hat riesige Augen, Sommersprossen und eine ganz leichte Stupsnase. Sie sieht jünger aus als zwölf. In ihren Augen ist noch immer zu lesen, dass es ihr leidtut, und ich wünschte, ich könnte ihr ihre Schuldgefühle nehmen. Sie ist zu jung, um eine solch schwere Verantwortung zu tragen. Die Last der Entscheidung, wer aus einer Enkrohöhle lebend herauskommt und wer nicht, sollte nicht sie tragen.
»Lasst uns gehen.« Die drei Mädchen folgen mir und wir quetschen uns nacheinander durch die enge Öffnung ans Tageslicht. Ich kneife die Augen zusammen wie ein Maulwurf, der aus seinem Hügel lugt. Das letzte Sonnenlicht des Tages wird schwächer und taucht alles in einen rotgoldenen Schein. Motten tanzen auf den schwächer werdenden Strahlen. Ich sinke zu Boden und fahre mit den Fingern durchs Gras. Gierig sauge ich die süße, frische Luft in meine Lungen. Cassian. Der Gedanke daran, dass wir ihn zurücklassen mussten, schneidet mir ins Herz.
Ich suche tief in mir nach ihm und hoffe, dass er noch da ist, dass er mich spüren kann. Deine Schwester ist in Sicherheit, Cassian. Es geht ihr gut. Es geht auch mir gut.
Ich wünsche mir inständig, dass er das weiß, und hoffe, dass ich ihm damit Kraft geben kann. Hoffe, dass ich ihm einen Grund zum Kämpfen geben kann … und dafür, zu uns zurückzufinden.
Und dann spüre ich ihn. Wie ein schwaches Rufen in der Nacht kommt seine Erleichterung zu mir und hüllt mich ein wie ein warmer Wind. Nun kann ich mir sicher sein, dass er meine Nachricht verstanden hat.
»Jacinda.«
Ich sehe auf. Will steht am Heck des Transporters, hält eine der Türen auf und winkt uns zu sich hinüber. Sein besorgter Gesichtsausdruck erinnert mich daran, dass das hier noch nicht ganz ausgestanden ist. Ich stehe auf und setze mich nur widerwillig in Bewegung, obwohl ich weiß, dass uns keine andere Wahl bleibt. Jetzt zu gehen, gibt mir irgendwie das Gefühl, Cassian endgültig auszusperren. Noch spüre ich ihn, aber ich weiß von Mum, dass die Verbindung zwischen uns mit wachsender Entfernung immer schwächer werden wird, und bei diesem Gedanken wird mir ziemlich mulmig zumute. Das Einzige, was mir von ihm geblieben ist, ist diese Verbindung zwischen uns.
Will beobachtet mich mit forschendem Blick und ich weiß, dass er meine Gedanken errät. Ich fühle mich schuldig. Und dann werde ich wütend. Ich hasse es, dass ich nicht offen zugeben kann, dass es mir das Herz zerreißt, Cassian
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