Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers
auf.
Firkin dagegen hatte ein Gefühl großer Leere befallen. Er war unfähig, Trost zu spenden, er fand keine Worte, die hilfreich oder beruhigend gewesen wären.
Es war alles ganz allein seine Schuld. Wenn er versucht hätte, Trost zu spenden, dann wäre das für alle eine Beleidigung gewesen. Er hätte damit die sowieso schon äußerst kritische Lage nur noch verschlimmert und lediglich eines riskiert: daß man ihm seine Trostsprüche um die Ohren schlug. Schutzlos hätte es ihn getroffen, wenn jenes hocherhitzte Gefühlsgemisch aus Wut, Angst und Enttäuschung, das sich in jedem von ihnen – er selbst nicht ausgeschlossen – angestaut hatte, reagiert und gezündet hätte. Er haßte sich. Er hatte versagt. Er kniff die Augen zusammen und versuchte zurückzuhalten, was an Gefühlen in ihm brodelte.
Doch da gab es noch einen anderen, deutlich spürbareren Grund, warum er keinen Trost spenden konnte: Er würgte an einem Kloß im Hals, der so groß war, wie er es sich nie hätte vorstellen können. Es fühlte sich an, als dränge etwas nach außen, etwas Lebendiges und Kraftvolles. Er bekam kaum noch Luft. Er wagte nicht, den Mund zu öffnen. Hätte er ihn geöffnet, es wären keine tröstenden Worte gewesen, die er geäußert hätte … In dieser Zelle, in diesem tropfnassen finsteren Loch hätte er allenfalls vor Schmerz und Angst geheult und geschrien.
Er biß die Zähne zusammen. Er zog die Knie noch enger an sich, umklammerte sie noch fester. Hätte er den Druck der Umklammerung nur noch ein wenig erhöht, die Knie wären ihm, und ein Regen aus Gelenkschmiere, wie flüssige Lava so heiß, wäre auf ihn niedergegangen. Verzweifelt versuchte er zu vergessen, was am nächsten Morgen auf sie wartete. Es gelang ihm nicht.
Welche Ironie! Wie passend, daß es im Morgengrauen zu Ende gehen sollte. Der Anfang und das Ende – der Kreis war geschlossen. Er dachte an seine Schwester, an den Augenblick, als er sie zum letzten Mal lächeln und lachen gesehen hatte, an die Hoffnungen, die er sich damals gemacht hatte, an seine erbärmlichunreifen Träumereien. Das alles schien so weit entfernt, schien so lange zurückzuliegen, als stamme es aus einer anderen Zeit, aus einer anderen Welt. Und als jetzt allmählich die Müdigkeit die überwältigend schwere Last, die ihm seine Gefühle verursachten, noch verstärkte und ihm seine Schwäche noch spürbarer machte, verlor er den Zermürbungskrieg und unterlag in der Schlacht mit seinen Gefühlen.
Sanft glitzernd stahl sich eine Träne, Zeichen seiner Verzweiflung, über den Lidrand, rollte über die schmutzige Wange und fiel in die vom Fackelruß verdreckte grüne Pfütze auf dem Boden der Zelle.
Es war still, nichts rührte sich im Schloß. Was nicht weiter verwunderlich war: Es war mitten in der Nacht, und es war dreizehn Jahre lang in Schloß Isolon nicht recht viel lauter gewesen. Und trotzdem – heute nacht war es ganz besonders still. Es war, als warte das Schloß mit angehaltenem Atem auf die Morgendämmerung. Alle schliefen. Hogshead war wie jeder andere eher von den erlittenen seelischen als von den körperlichen Strapazen erschöpft und wälzte und warf sich unruhig auf seiner Holzpritsche hin und her. Courgette steckte den Kopf in die Hände und versuchte, sich vor der Welt zu verschließen. Keiner schnarchte. Es schnarcht sich nicht so leicht, wenn man in wenigen Stunden schon zu einer Verabredung muß, bei der einen mit ziemlicher Sicherheit der Tod erwartet.
Nur aus einem einzigen Raum waren Geräusche zu hören, die von Arbeit und emsigem Fleiß kündeten: aus einem dunklen, in den tiefsten Tiefen der Schloßanlage, weit, weit unter der Erde liegenden Raum. Vier gewaltige Fackeln flackerten hoch auf, tauchten die Steinwände in blutrotes Licht und füllten die Luft mit dichtem Rauch. In diesem Raum legte eine schwarzgekleidete hagere Gestalt letzte Hand an ein Szenario, die als ganz persönliche Variante der Hölle gelten mochte. Sie testete eben Folterbank Nummer fünf. Schlaf war das letzte, woran Swinehunt im Augenblick dachte. In seinem Körper brauste ein mächtiger Adrenalinstrom, sein Kopf war erfüllt von den Gedanken an all das, was er bereits erledigt hatte und was noch zu erledigen war. Die ganze Nacht über war er wach gewesen und hatte die anderen vier Folterbänke auseinandergenommen und neu geschmiert, so daß sie jetzt reibungslos und perfekt funktionierten. Außerdem hatte er die Stacheln der Eisernen Jungfrau gespitzt, die
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