Firkin 01 - Der Appendix des Zauberers
»Hätt isch manschmal janz jerne, solsche Angst« in seinen Bart.
»Wenn ihr jez noch’n Wunsch frei habt«, wechselte der Prinz das Thema, »wer sollsn dann diesmal sein, hä?«
Firkin sagte es ihm. Merkwürdigerweise hörte sich sein Akzent auf einmal auch ziemlich sonderbar an.
»Bwwoah ey! Echt gut, die Idee, Mann!«
Hogshead nannte dem Bücherwurm den dritten Wunschkandidaten.
Erwartungsvoll standen sie auf der Lichtung. Ch’tin richtete sich zu voller Größe auf (zwei Zentimeter etwa), schloß die Augen und konzentrierte sich. Inzwischen hatte er den Dreh heraus. Und weil er ein aufmerksames Publikum hatte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, leise und dumpf zu stöhnen und geheimnisvoll mit den Fühlern zu wackeln – reine Effekthascherei! Er schwankte hin und her, als wäre er von einem absonderlichen Geist besessen. Er wußte genau, daß alle Augen auf ihn gerichtet waren.
»Expialligetis«, piepste er (reine Effekthascherei!) und klappte die Fühler zusammen.
Und wieder explodierte sein Bewußtsein und wurde zum Brennpunkt, in dem sich Literaturfragmente sammelten. Beinahe im selben Moment setzte das Summen der Cognacschwenker ein und wurde, als sich das morphogenetische Feld bildete, rasch stärker. Deutlich erklang über dem Grundton die Terz, kurz darauf auch die Quint. Firkin, Hogshead und Pezzi beobachteten gespannt die immer größer werdende Wolke aus Silberstäubchen, die sich zunehmend schneller zu einer Gestalt verdichtete. Jeder wollte der erste sein, der diese Gestalt erblickte.
Als dann immer deutlicher die Septime zu hören war, als sich die Dichte der Zauberkugeln dem kritischen Punkt näherte, fing Firkins Kopfhaut zu jucken an. In atemloser Spannung wartete er auf die Auflösung. Der Akkord, den sie mittlerweile so gut kannten, klang jetzt schrill, beinahe dissonant, und riß unvermittelt ab. Totenstille lag über der Lichtung, auf der jetzt eine andere, eine neue Figur stand.
»Ihr …«, sagte die Gestalt. Und war auf der Stelle wieder verschwunden. Zurückblieben das leuchtende Nachbild einer großen Menge hellen, weißlichen Haars und der Nachklang einer Symphonie aus Farben.
Lastendes, betretenes Schweigen lag über der Lichtung.
Jeder starrte den Bücherwurm vorwurfsvoll an, und der mühte sich verbissen, mit den nicht vorhandenen Schultern zu zucken.
»Mich nicht so anschaut!« piepste er. »Meine Schuld nicht ist es. Auch nicht das verstehe ich!«
»Versuch’s noch mal.«
Ch’tin schloß die Augen und versuchte es erneut. Das gläserne Gewimmer setzte wieder ein, wurde schnell lauter und stärker. Die Terz erhob sich über dem Grundton, brausend und mächtig, und brach unversehens wieder ab. Die bläulichen Funken, die zwischen Ch’tins Fühlern hin und her sausten, bildeten einen Lichtbogen, über den der piepsende Empfänger geerdet wurde, und ließen einen schwachen Ozongeruch zurück. Geknickt sah der Bücherwurm auf.
»Leid mir tut. Nicht möglich jetzt. Interferenzen dort, wo er ist jetzt, zu stark. Jemand über ihn gerade liest vielleicht.«
»Pah!« machte Firkin verbittert, zog die Knie an und umklammerte sie niedergeschlagen.
Hogshead blickte auf den winzigen grünen Bücherwurm hinab und empfahl ihm, die Sache weiter zu versuchen (»Im Zehnminutenabstand oder so«), so lange, bis er durchkäme.
Das Quartett setzte sich ins Gras, lehnte sich an die Baumstämme und lauschte dem Prinzen, der ihnen von den Jungfern und Maiden erzählte, die er aus den Klauen von Drachen befreit oder vor bösen Hexen gerettet hatte, von edlen Fräulein, die er davor bewahrt hatte, auf den Scheiterhaufen gebunden und verbrannt zu werden, etc. pp.
Auch von den Heldentaten anderer Ritter erzählte er ihnen. Im Augenblick kam er gerade zum Ende einer Geschichte, in der ein Ritter eine Jungfer davor bewahrt hatte, bei lebendigem Leib in einem riesengroßen Turm gesotten zu werden. Anschließend hatte er feststellen müssen, daß er mit dieser Tat seinem Namen keine Ehre gemacht hatte: Das Ganze war nur ein Trick gewesen, mit dem die Maid ihn in ihr Bett gelockt hatte.
»Kannze ma sehn, Mann«, sagte er zum Schluß, »Pastetnverkaufn is vielleicht nich das Überding – is aber echt viel weniger riskant. Echt!«
»Äh, schon möschlisch«, stimmte der Pastetenbäcker zu. Insgeheim aber wäre er ganz gern einmal derlei Risiken ausgesetzt gewesen. Einmal wenigsten. Ein bißchen zumindest.
Dann plötzlich: ein hoher winselnder Ton – Ch’tin war
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