Firkin 03 - Das Wurmloch ins Biblioversum
schüttelte Wenzl, er war anscheinend ernsthaft besorgt.
»Zu kurz«, stöhnte Wenzl. »Nicht lange genug.«
Bharkleed zog eine große Pergamentrolle aus seiner Talartasche und legte sie vor Len auf den Tisch. Dem Generaldirektor traten beim Anblick des Hohenpriesters, der sich unter den heftigen Qualen seiner ›Vision‹ wand, vor Angst die Augen aus den Höhlen. Unerklärlicherweise hielt er plötzlich einen Federkiel in der Hand, frisch in Tinte getaucht und schreibfertig.
»Wie lange noch?« schrie der Generaldirektor. »Sagt mir doch: wie lange? Ich habe hier Aufträge liegen, die ich ausführen muß!« Bharkleed bekam leuchtende Augen. Aufträge: Das bedeutete Geld!
»Zwanzig …« Wenzl wand sich.
Bharkleed führte Lens Hand vorsichtig an die gestrichelte Linie.
»Jahre?« fragte der Direktor ängstlich.
»Zwanzig …«
»Wochen?« Seine Hand zitterte.
»Zwanzig vor drei, morgen«, platzte Wenzl heraus, schlug wie wild um sich und klappte zusammen. Noch ehe er auf dem Boden aufschlug, kritzelte Lens Hand bereits seine krakelige Unterschrift auf die pergamentene Bescheinigung zum Nachweis des Bedingungslosen Glaubens. Dann umklammerte er mit beiden Händen Bharkleeds Hand und schüttelte sie mit so großem Ernst, als ob es das letzte Mal wäre. Was er ja auch tatsächlich glaubte. »Ihr seid mein Retter!« heulte er. »Ihr habt mich davor bewahrt, auf ewig Qualen leiden zu müssen. Danke, danke!« Und damit floh er aus dem Zimmer, um allen in Krillingen, einem jeden in Phruhl und dem Rest der Welt die Nachricht von der bevorstehenden Katastrophe zu verkünden, solange es noch eine Welt gab, die ihn hören konnte.
Bharkleed grinste und verstaute das dicke, bis auf die letzte Zeile gefüllte Auftragsbuch der Binnenländischen Molluskenwerke in seiner Talartasche.
Fräulein Werther mußte verwirrt feststellen, daß der sendungsbewußte Blitzstart des Generaldirektors von rauhem, schallendem Gelächter und den klatschenden Geräuschen kumpelhafter Schulterklopferei begleitet wurde.
Phase Zwei war angelaufen. Die Lunte war gezündet, und das blaue Flämmchen raste fauchend auf das Pulverfaß zu, dem Sieg entgegen!
Nostromo hatte die zweite Flasche Jacques d’Anyuls zur Hälfte intus und war auf dem besten Weg, den Zustand des Vergessens zu erreichen, da hörte er durch den dunstigen Alkoholschleier hindurch das Geschrei. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen, torkelte zum Fenster und brüllte auf die Straße hinunter, wo ein Verrückter ein Transparent schwenkte: »Hahauabb!«
Der Mann fuhr herum und schrie etwas Unverständliches zurück, irgendwas von einem baldigen Ende.
»Wirddiakeimrnenschglaumm!« brüllte Nostromo. »Miahammsesauchnichgeglaubb.«
Die Stimme schwadronierte weiter drauflos.
»Halzmaulunvassiiedich!« schrie der Prophet und feuerte die Flasche aus dem Fenster.
Auf der Straße vor Nostromos Haus rannte ein kleiner Ex-Generaldirektor wie wild auf und ab und schwenkte ein großes Transparent, auf das die folgende Botschaft gekritzelt war:
Man hat einmal vorgeschlagen, Sprache als eine Art Virus anzusehen. Wenn dieser Vergleich nicht ganz abwegig ist, dann war das, was die Hohenpriester der Hochkirche von Sankt Mammon dem Ungewaschenen in jener Nacht freigesetzt hatten, eine ganz besonders ansteckende Subspezies dieses Virus. Es besaß alle Eigenschaften einer ausnehmend scheußlichen Herpesinfektion und verbreitete sich in Windeseile, indem es zunächst alte, wenig widerstandsfähige Frauen, Fisch- und Klatschweiber befiel, deren Zungen lockerte und auf diesem Weg die Leichtgläubigen infizierte. Indem es bei jeder neuen Infektion sein Lügenkostüm geschickt abänderte, interessante Fakten schlaglichtartig heraushob und verstärkende Gerüchte in sein fiktionales Gespinst einwob, wurde es so mächtig, daß ihm auch mit dem Impfstoff der kategorischen Zurückweisung nicht mehr beizukommen war. Die Botschaft vom Ende der Welt verbreitete sich in Windeseile, der Beschleunigungsfaktor stieg exponentiell.
Und ebenso stieg die Zahl der Bekehrungen signifikant an, immer mehr schenkten Bharkleed, Flaezz und Wenzl ihr gläubiges Vertrauen und übereigneten ihnen ihre irdischen Güter zur sicheren Verwahrung. Ganz so, wie die Hohenpriester es beabsichtigt hatten.
Als das Licht des vermeintlich allerletzten Sonnenuntergangs glutrot vor dem schwarzen Nachthimmel brannte, marschierte eine Handvoll uniformierter Stadtgorillas auf, bezog vor der wogenden Menschenmenge
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