Firkin 04 - Hundstage
weit weniger überzeugt klang.
»Buch!« fauchte Ernstl.
»Aber nicht doch!« jammerte Mancini so unschuldig, wie es ihm über die Lippen kam. »Hier drin? Ich …« Er kramte in der Tasche herum, dann zog er mit dem theatralischen Gesichtsausdruck eines schwer geprobten Schocks das Buch hervor. »Wie ist es denn dort reingekommen?«
»Her damit!« knurrte Ernstl. Hinter ihm im Gang wurde ein Rumpeln laut.
Cheiro Mancini errötete, dann rückte er es heraus.
»Na so was! Klebrige Finger!« grunzte Practz, als Ernstl in der Bibliothek verschwand und der PET-Felsen weiterrollte.
»Ich, äh …«, hauchte der angeblich geschlagene Mancini, als er zum Buffet geleitet wurde. »Hört mal«, sagte er bittend, um den Versuch zu machen, sich vom Verdacht eines Diebstahls reinzuwaschen, »laut unseres Vertrages muß ich mich strikt an die Regeln der Alchimie halten. Aber es zahlt sich nicht sonderlich aus, versteht Ihr? Ihr könnt mir doch nicht etwas Taschengeld verwehren.«
»Etwas Taschengeld ist etwas anderes. Manche der Bücher, die wir hier unten haben, könnten das totale Chaos bewirken, wenn sie in die falschen Hände gerieten!« knurrte Practz. Er zuckte zusammen, als fünfzig Tonnen imaginären Gesteins durch die versammelte Menge sausten und weiter unten im Korridor verschwanden. »Aber wie Ihr seht, können wir nun, da unser System auf dem neuesten Stand ist, aufatmen.« Er grinste, klopfte Mancini auf die Schulter und eilte dem Buffet entgegen. »Irgendwann werde ich mich auch noch an das Ding gewöhnen, das mich jedesmal, wenn ich in die Bibliothek gehe, zermalmen will.«
Nachdem die Molluske nach 85.000 Jahrhunderten im Inneren eines Terrakottagefäßes plötzlich festgestellt hatte, daß sie entdeckt, verkauft, gekauft, verschenkt und schließlich rüde aus dem Schlaf gerissen worden war, war sie völlig durcheinander und frustriert. Noch bis vor kurzem war ihr Leben einfach verlaufen; sie hatte getan, was sie ihrer Meinung nach am besten konnte. Tatsächlich war sie, wäre die Wahrheit bekannt gewesen, ziemlich stolz darauf, daß es ihr gelungen war, die Information zu behalten, die man ihr zu treuen ›Händen‹ anvertraut hatte. Nun wartete sie auf die Ankunft des Einen.
Auf ihr lastete jedoch auch eine Sorge, denn es gab einen einzelnen schwarzen Fleck auf ihrer ansonsten makellosen Weste: Sie hatte vergessen, wie der Eine aussah. Nun ja, 85.000 Jahrhunderte sind eine ziemlich lange Zeit, um sich an die Beschreibung eines Jemandes zu erinnern, dem man nie begegnet ist, speziell dann, wenn man keine Ahnung hat, was Angaben wie ›fünf Fuß acht groß, braunes lockiges Haar und strähniger Bart‹ überhaupt bedeuten. Die traurige Wahrheit bestand darin, daß der Speicher, in dem die Beschreibung des Einen enthalten war, nach ungefähr 15.000 Jahrhunderten völlig aufgegeben hatte. Vor 70.000 Jahrhunderten hatte die Molluske alarmiert gezuckt, dann einen uralten Seufzer ausgestoßen und den Schluß gezogen, daß am Ende alles gut ausgehen würde. Sie wollte ihr Geheimnis dem ersten Menschen mitteilen, der zufällig ihren Weg kreuzte.
Der einzige Haken an der Sache war, daß alle vor ihr davonliefen.
Verloren tastete der Molluskengeist hinaus und versuchte das Geschöpf zu sondieren, das sie nun sonstwohin brachte. Sie suchte und stocherte mit ihren urmentalen Fingern im Bewußtsein des Wesens, das als Ernstl bezeichnet wurde. Und fand nichts.
Na schön. Die Molluske zuckte ihre nicht vorhandenen Achseln. Nach 85.000 Jahrhunderten kam es auf ein paar Stunden mehr oder weniger auch nicht an.
Es war schwierig, eine Blätterteigpastete zu handhaben, wenn man heftig zitterte. Krümel blättrigen Feingebäcks explodierten in winzigen schmackhaften Detonationen und verzierten Cheiro Mancinis drahtigen Bart, als er kurz die Kontrolle über seine überreizte Kinnbackenmuskulatur verlor und zu fest zubiß. Practz wird es bestimmt nicht auffallen, dachte er nervös, während der Streß der freundlichen Konversation immer schwerer auf seinen emotionalen Schultern lastete.
»Seid Ihr in Ordnung?« fragte Practz, der echt besorgt klang.
»Nur etwas überdreht, nehme ich an«, antwortete Mancini und bürstete mit winzigen nervösen Schnippen seinen Umhang ab. »Ha! Ich bin eben nicht ans Einbrechen gewöhnt!«
Knapp versorgte sich mit mehreren Dutzend Blätterteigpasteten und stopfte sie heimlich in seinen Sack.
»Ich nenne es lieber Fehlerjagd«, sagte Practz. »Wer kann unsere neue Version schon
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