Firkin 05 - Fahrenheit 666
zur nächsten Marterung zu schleppen. Plötzlich schoß Nabob eine Frage durch den Kopf. Warum, zum Teufel, sind die Straßen vor dem Schichtwechsel eigentlich nicht mehr leer? Vor etlichen Jahren war das nämlich so üblich gewesen. Sicher, hier und da hatte man ein paar Teufel nach einer durchzechten Satyrtagnacht in der Stadt nach Hause wanken gesehen, aber warum, verdammt noch mal, jetzt schon so früh …? Und dann noch zwischen den Schichten? Hatten die alle keine Höhle, in die sie sich verkriechen konnten? Oder hatte die Einwanderungsbehörde wirklich so viele von denen reingelassen? Könnte Seirizzim dahinterstecken …?
Nach acht Stunden Kopfstand in einer Senkgrube schlängelte sich eine Flutwelle von Sündern hustend und prustend durch die Straße in Nabobs Richtung und wurde zu einer beinahe undurchdringlichen Wand aus stinkendem Elend. Nabob grinste, zog den Kragen des Flammenmantels ein wenig höher und ging in die Hocke. Schließlich atmete er tief ein, wartete einen günstigen Augenblick ab und verschwand, unentdeckt von Seirizzims dreiäugigen Schlägern, in dem tumultartigen Gedränge. Ein Schwarm keuchender, klagender Leiber drängelte sich um ihn herum und schob ihn an den versengten Stahltüren des Stratakratzers vorbei. Erst im letzten Moment gelang es ihm, den Türgriff zu fassen zu kriegen. Durch den Druck wurde er regelrecht ins Gebäude hineingepreßt, so daß er durch den Schwung im Treppenhaus erst nach einigen unfreiwilligen Umdrehungen zum Stehen kam. Der Dämon schnaubte heftig, um die Nasenlöcher zu reinigen, und rannte dann die Stufen hinauf, die zu den Büros der Gesellschaft für Transzendentalreisen mbH führten.
Neunundneunzig Stockwerke über Nabobs hämmernden Hufen begriffen die winzigen grauen Gehirnzellen tief in Flagits brodelndem Kopf allmählich die Tatsachen. Es hatte ihn einige angsterfüllte Minuten gekostet, um zu kapieren, daß das warme, klebrige Gefühl, das von der langhaarigen Ratte ausgegangen war, nichts mit akuter Angst und damit einhergehender Darmtätigkeit zu tun gehabt hatte. Tatsächlich handelte es sich lediglich um die echte Zuneigung einer verhätschelten Hausratte, die darüber hinaus furchtbar überfüttert war. In den letzten zehn Minuten hatte er etliche Stücke von fünfzehn verschiedenen Käsesorten unter seinen zuckenden Schnauzhaaren verschwinden lassen und war öfter verhätschelt und betätschelt worden, als er zählen konnte.
Allmählich hatte Flagit buchstäblich die Schnauze voll. Es mußte langsam mal was passieren, und deshalb beförderte er eine geballte Ladung Gedankengänge in das Rattenhirn. Das Nagetier blickte nach oben und hielt Ausschau. Flagit sah, wie sich der riesige Ärmel eines teuren Anzugs mit Nadelstreifenmuster vor ihm ausstreckte, und spähte nach unten auf die riesige Fläche eines polierten Holztisches. Er beobachtete, wie die kräftige, mit etlichen Ringen geschmückte Hand langsam auf eine Schüssel zusteuerte, um zum wiederholten Male nach einem Stück Blauschimmelkäse zu greifen.
Nein, nein! dachte Flagit mit panischem Entsetzen. Bloß keinen scharfen Dämonzola mehr!
Blitzartig schossen Flagits rasende Gedanken unaufhaltsam nach oben …
Unmittelbar darauf hallte durch die gewaltige Marmorhalle einer riesigen Villa ein gellender Schrei, als nämlich die Rattenkrallen den teuren Nadelstreifenärmel durchbohrten und sich in den fleischigen Unterarm eingruben. Khar Pahcheeno, das Oberhaupt der cranachanischen ›Familie‹, schrie wie am Spieß, sprang aus dem riesigen Ledersessel und schleuderte Ratte und Käse durch die Gegend. Das weiße Haustier überschlug sich dreimal, bevor es trudelnd auf dem blankpolierten Holztisch landete. Im selben Augenblick sprang die Tür auf, und drei kräftig gebaute Leibwächter stürmten herein. Arglistig spreizte die Ratte die Krallen, grinste die polierte Tischplatte an und begann zu kratzen. Khar Pahcheeno stand da und saugte an seinem Unterarm, während der Leibwächter Fhet Ucheeni nach Eindringlingen suchte. Das Kratzen der Krallen auf dem Holz wurde lauter und hörte dann unvermutet auf. Alle Blicke waren auf die Ratte gerichtet, während sie gemächlich zur Seite tappte und teuflisch zurückgrinste. In der schimmernden Holzlasur war ein langer, tiefer Kratzer zu sehen, der unverkennbar die Abbildung einer geballten Faust darstellte, wobei der Mittelfinger zum seit alters her beleidigendem Gruß anstößig ausgestreckt war. Flagit nahm das Scheitelkäppchen des
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