Firkin 05 - Fahrenheit 666
schüttelte er den Kopf; trotz all seiner Erfahrungen mit Tusche konnte er immer noch nicht begreifen, wie etwas so Häßliches entstehen konnte, wenn man solch schöne Farben miteinander vermengte.
Die Morgendämmerung an diesem gewöhnlichen Sündtag lag mit ihrem üblichen Mangel an Glanz und Farbenpracht über Mortropolis. Die Sonnenauf- und -untergänge in Helian galten allgemein nicht als besonders spektakulär. Kein Wunder, da hier unten, dreihundert Meter unter der Erde, die einzigen Lichtquellen aus dem ständig roten Glühen der Lavalaternen und den gelegentlichen Blitzgewittern eines heranziehenden Flammensturms bestanden.
»Bist du sicher, daß du mir nichts verschweigst?« knurrte Flagit, während er sich über den ängstlichen Pfarrer Götz von Öl beugte und drohend eine zwanzig Zentimeter lange Kralle ausstreckte.
»Alles ist genauso, wie ich es gesagt habe. Ich habe dir wirklich alles gesagt«, winselte Götz, wobei er inständig hoffte, daß ihn sein Gedächtnis nicht im Stich gelassen hatte. Schon immer war er besonders stolz darauf gewesen, ganze Texte aus der Heiligen Schrift auswendig zu können. Tatsache war, daß er während seines Studiums im Kloster der Abtei Synnia sämtliche Wissenswettbewerbe gewonnen hatte. Er konnte den ganzen Käse herunterbrabbeln, wann immer ihm Fragen über die Bibel gestellt wurden. Falls es doch mal etwas gab, woran er sich nicht erinnern konnte, dann war es vermutlich auch nie geschrieben worden.
Allerdings funktionierte sein Erinnerungsvermögen nur, wenn er konzentriert war und nicht abgelenkt wurde. In diesem Augenblick hatte er ganz andere Probleme im Kopf, als sich an so etwas Simples wie an den gesamten Inhalt von Telepenetranz leichtgemacht zu erinnern, nachdem er die Schrift erst kürzlich fünfmal durchgelesen hatte. Eins davon war zum Beispiel drei Meter groß und immer noch damit beschäftigt, ihm die mächtigen Reißzähne, Hörner und Krallen zu zeigen. Die anderen Probleme galoppierten mit knallenden Peitschen und klatschenden, straffen Oberschenkeln in seinem Gehirn herum. Das Beunruhigende daran war, daß die Nymphen mittlerweile viel weniger anhatten und noch viel anziehender wirkten als vor etwa einer Stunde.
»Bist du sicher, daß das alles ist, was ich machen muß? Demnach brauche ich mir also nur ein paar Bienen im Kopf vorzustellen, muß dann den Bienenkorb niederbrennen, und schon habe ich die Fähigkeit, jede einzelne Kreatur, die da oben lebt, zu beherrschen, richtig?« hakte Flagit mit wutschnaubender Stimme mittlerweile wohl schon zum fünfzehnten Mal nach.
»Also, das ist zwar eine ziemlich grobe Zusammenfassung eines dreihundert Seiten langen Textes, aber ja, im Grunde ist das alles«, antwortete Götz.
»Das ist wirklich absolut alles, was man machen muß?«
Götz nickte.
»Aha! Und warum funktioniert es dann bei mir nicht, hä?« knurrte Flagit. »Fünfzehnmal hab ich den Rattentrick probiert, und nichts ist passiert! Dabei weiß ich ganz genau, daß es funktioniert, denn ich hab’s ja bei dir gesehen. Was verschweigst du mir?« Flagit schäumte über vor Wut, und seine Angst vor Nabob, der in einigen Stunden vorbeikommen wollte, machte alles nur noch schlimmer. Schnaufend sprang der Teufel durch die Höhle, packte den Pfarrer am Kragen und drückte ihn gegen die Wand.
»Ich hab dir wirklich alles gesagt«, winselte Götz durch zusammengebissene Zähne hindurch. »Ich würde dich niemals anlügen. Ich bin … immerhin bin ich ein Geistlicher!« Doch irgendwo tief in einem verborgenen Winkel seines Gehirns wußte er, daß es irgendeinen geringfügigen Grund geben mußte, warum Flagits Versuche der mentalsuggestiven Gedankenübertragung so kläglich gescheitert waren. Unter anderem hatte es etwas mit Aufstiegsmöglichkeiten, ja sogar mit der Evolution und ähnlichen Dingen zu tun, aber er war sich wirklich nicht sicher, womit genau. Schuldbewußt preßte Götz die Lippen zusammen und legte vor sich selbst eine Beichte ab. Oh, welche Schande! Er war erst seit ein paar Stunden in Helian, und schon glitt ihm die Hingabe zur absoluten Wahrheit davon. Die aberwitzige Vorstellung einer verführerischen Pferdefessel, die mit einer Bullenpeitsche gestreichelt wurde, irrte durch seinen wirren Verstand.
»Also, warum funktioniert das nicht bei mir?« wollte Flagit wissen und drückte dem Pfarrer die Kehle noch fester zu. »Bin ich dazu zu blöd, oder was?«
Götz fuchtelte mit den Armen und schüttelte wild den Kopf.
»Nein,
Weitere Kostenlose Bücher