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Firkin 1: Der Appendix des Zauberers

Firkin 1: Der Appendix des Zauberers

Titel: Firkin 1: Der Appendix des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
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»Marsch! Sofort!« brüllte er.
    Börrnhadt und Mattsches erhoben sich langsam und glotzten den tobenden Erzkanzler verwundert an, der aufgewühlt von einem Bein auf das andere hüpfte.
    »Jetzt?« fragte Mattsches, hellwach wie immer. »Aber wir spielen doch gerade!«
    »Ja, jetzt!« Swinehunt packte das Spielbrett und warf es in die Ecke. Schwarze und weiße Spielsteine kullerten und kugelten durchs Zimmer.
    »Es hat sich ausgespielt!« Der Erzkanzler grinste grimmig. »Etwas mehr Bewegung, meine Herren!« Er versuchte, ruhig und souverän zu wirken. Der Versuch schlug fehl. Rastlos rollten weißblitzend die Augen in den Höhlen. »Spione! Eingebrochen! Zu Hunderten! Schnappt sie euch! Bringt sie um! Vernichtet sie!« Seine Stimme überschlug sich, schrillte in einem Frequenzbereich, der empfindlich hoch über Normaltonhöhe lag.
    Er rannte hinter Börrnhadt her und fing an, ihn wütend zu schubsen und zu stoßen.
    »Willst du dich jetzt vielleicht endlich einmal in Bewegung setzen!?«
    Er rannte wieder nach vorn und zerrte ihn ungeduldig am Ärmel. »Marsch, jetzt! Oder ich bring dich um!«
    Das wirkte. Er war durchaus dazu im Stande. Achtung vor dem Leben – so etwas kannte der Erzkanzler nicht. Mattsches hatte ihn einmal beobachtet, wie er einem Weberknecht die Beine ausriß. Alle Beine, bis auf eins. Der Weberknecht hatte sich verzweifelt auf der Stelle im Kreis gedreht, Swinehunt hatte zugesehen und dabei wie ein Irrer gekichert.
    Im Augenblick hopste und hüpfte er auf und ab, ballte die dürren knochigen Hände zur Faust und öffnete sie wieder, ballte sie wieder und öffnete sie wieder und warf wirre Blicke um sich. Er war von panischer Furcht beherrscht. Sie setzte ihm zu, trieb ihn an – unbarmherzig, ohne Ende. Der Erzkanzler wirkte beinahe wie ein Kaninchen, das ins Scheinwerferlicht eines ungebremst herandonnernden Vierzigtonners geraten war. Doch dieses Kaninchen war anders als seine Artgenossen. Dieses Kaninchen würde die Augen nicht verschließen und darauf hoffen, daß das Ungetüm um wenige Millimeter an ihm vorbeiraste. Dieses Kaninchen würde nicht kehrtmachen und mit aufgeregt auf- und abtanzendem Stummelschwanz davonhoppeln. Dieses Kaninchen würde keinen Millimeter von der Stelle weichen. Dieses Kaninchen wußte, was es wollte. Dieses Kaninchen hatte einen Plan!
    Swinehunt rannte aus der Wachstube, Börrnhadt und Mattsches folgten ihm langsam.
    »Durchsucht das Schloß! Schnappt sie euch! Sperrt sie ein!« schrie er wild. »Anschließend zum Rapport in mein Quartier!« Er blieb stehen, zitterte wie Pudding auf Amphetamin, machte dann blitzschnell kehrt und jagte durch den langen Korridor davon.
     
    Swinehunt stieß die Tür auf, stürmte – die Stirn schweißnaß – in seine spartanische Unterkunft, schlug die Tür hinter sich zu, fiel erschöpft mit dem Rücken dagegen und schnappte keuchend nach Lauft. Wie Nebelfetzen zog die Angst in wirbelnden Kreisen um seine Fußknöchel, wie der Nebel aus Trockeneis in einem billigen Horrorfilm. Er schloß die Augen und zitterte. Ein entsetzliches, grauenhaftes Bild suchte ihn heim: Er, Swinehunt, auf den Boden geduckt, blickte aus zwei winzigen Augen nach oben. Ein Gesicht, bösartig und voll majestätischer Feindseligkeit, starrte auf ihn herab. Er hämmerte mit den Hinterpfoten auf den Boden – das Hämmern verursachte kein Geräusch. Der Rachen des Löwen verzog sich zu einem hämischen Grinsen, tat sich auf und zeigte gelbe Zähne, von schwarzen Lippen gerahmt. Das Firmament: eine gelbe Mähne. Sie kam auf ihn zu. Er starrte nach oben und blickte in das rot-schwarze Maul des Todes. Er roch den Atem, der ihm aus diesem höhlenartigen Schlund entgegenschlug: Es war ein Atem, in dem hundertfach das Schreien seit langem schon toter Säugetiere eingeschlossen war. Er hörte, wie sich seine Stimme diesem kakophonischen Chor anschloß. Sie schrie. Der feixende Rachen kam näher, immer näher. Und dann, in jenem entsetzlichen Augenblick, in dem er den Atem erstickend heiß im Gesicht spürte, zerfloß das Löwengesicht, verformte sich scheußlich, verflüssigte sich und setzte sich quecksilbrig schnell wieder zusammen, zu jenem Gesicht, das vor dreizehn Jahren …
    Mit einem Schrei riß Swinehunt die Augen auf und zitterte wie vom Fieber geschüttelt. Hell leuchtend stand ihm das Nachbild von König Erdrosselbarts Gesicht vor Augen, war ihm tief in die Netzhaut eingebrannt. Schlangengleich glitt es mehrgliedrig unter dem Türspalt ins Zimmer:

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