Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Firkin 1: Der Appendix des Zauberers

Firkin 1: Der Appendix des Zauberers

Titel: Firkin 1: Der Appendix des Zauberers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Harman
Vom Netzwerk:
hatte bemerkt, daß der Erzkanzler Angst gehabt hatte. Und das war etwas, was Börrnhadt in den dreizehn Jahre, die er Swinehunt jetzt kannte, noch nie gesehen hatte. Zumindest nie wirkliche Angst. Nie jene Angst, die jemandem die Augen aus den Höhlen quellen läßt und ihn in ein zitterndes, bibberndes Wrack verwandelt – eben genau jene Angst, die Börrnhadt in diesem Moment an Swinehunt bemerkt hatte.
    Die Aussicht, irgend etwas oder irgend jemanden treffen zu dürfen, der – oder das – fähig war, Swinehunt eine so gewaltige Angst einzujagen, diese Aussicht erfüllte Börrnhadt mit größter Begeisterung. Er wollte diesem Jemand – oder diesem Etwas – unbedingt die Hand schütteln und ihm ein Bier spendieren.
    Börrnhadt und Mattsches bogen um eine Kurve und standen vor einer Stelle, an der mehrere Korridore sich kreuzten.
    »Wohin jetzt?«
    »Äh … rechts«, sagte Börrnhadt bestimmt.
    Sie bogen nach rechts ab, rannten weiter und suchten dabei nach Spuren, die die Eindringlinge möglicherweise hinterlassen hatten. Hinweise wie etwa ein mit Kreide gezeichneter Pfeil, Stoffetzen, die an scharfen Steinkanten hingen, oder auch eine lange Schnur, die einen zum Ausgang führte – irgend etwas in dieser Art wäre jetzt ganz hilfreich gewesen. Natürlich fanden sie nichts dergleichen. Wäre auch zu einfach gewesen.
    »Was meinst du, wie viele es sind?« Börrnhadts tiefe Stimme dröhnte in dem hallenden Korridor.
    »…«, bekam er zur Antwort.
    »Wie viele, glaubst…«, fragte Börrnhadt, sah über die Schulter zurück und blieb wie angewurzelt stehen. Mattsches war verschwunden. Börrnhadt stand allein in dem Korridor und kratzte sich den Kopf. Wo war er bloß? Er blickte nach vorn: nichts. Seit der letzten Kreuzung hatte es keine weiteren Kreuzungen gegeben. Also …
    Er sah nach hinten, blickte die Strecke zurück, die er gekommen war, und dort – weit hinten, noch vor der Kreuzung – stand Mattsches, zuckte mit den Schulter und winkte schüchtern.
    »Kein Orientierungssinn!« brummte Börrnhadt. »Nächstes Mal heißt das einfach ›Mir nach‹!«
     
    In jedem Schloß gibt es einen Bereich, dem der Architekt seinen ganz spezifischen, individuellen Stempel aufdrückt. So baut etwa der eine Korridore, die ohne ersichtlichen Grund als Sackgassen enden, macht der zweite eine von zehn oder zwölf Türen fünf Zentimeter niedriger als die anderen und versieht sie mit einem lustigen Hinweisschildchen, auf dem etwa zu lesen steht: ›Kopf runter, sonst ist die Rübe ab, ha, ha, ha!‹, schmückt ein dritter die Brüstungen an Baikonen und Türmen mit obszön gestikulierenden Wasserspeiern, leistet sich ein vierter einen optischen Scherz und setzt einem sich hochaufschwingenden Strebebogen Flügelchen an.
    Keiner von ihnen aber wußte so verblüffend irreführende Spuren seines Wirkens zu hinterlassen wie das Ämze Ächzer verstand, der Erfinder des Strebebogen-Senkrechtstarters, des endlosen Wasserfalls und der Möbiustreppe. Ohne jeden Zweifel war er der einsame Meister der ›Archivextur‹, wie die von ihm begründete Schule der Baukunst später genannt wurde. Schon als Kind zeigte Ämze jene beispiellose räumliche Kognitionskompetenz, die es ihm ermöglichte, dreidimensionale Räume in vierdimensionale umzuwandeln. So spielte er etwa einmal – es war an einem Sommertag, seine Eltern hatten ihn zu einem Picknick ins Grüne mitgenommen – mit seinen Bauklötzchen und kicherte dabei leise vor sich hin. Als seine Eltern, neugierig geworden, was ihn denn wohl so belustigte, nachsahen, wollten sie ihren Augen nicht trauen! Jetzt erst verstanden sie, warum sie bei ihrem Picknick nicht wie üblich von Ameisen heimgesucht worden waren: Hunderte von ihnen kletterten verbissen eine vierfach gedrehte Wendeltreppe hinauf, deren eine Ebene ins Nichts führte. Jahre später hatte Ämze Ächzer dann den Auftrag erhalten, Schloß Isolon nach seinen Vorstellungen zu bauen und einzurichten. Es war ein Meisterstück geworden, voll archivextonischer Streiche und wunderlicher Phänomene, ein Opus, wie wohl nie wieder eines ersonnen und ausgeführt werden wird.
    Ungefähr im Mittelpunkt des Schloßbaus lag der zentrale Verbindungsknoten aller Korridore, eine Anlage, die von ihren Erbauern den Spitznamen ›Der Drehkreisel‹ erhalten hatte. Stand man an dieser Stelle und blickte nach oben, sah man aus allen Richtungen und Winkeln Korridore aufeinander zu laufen. Manche waren über kurze Treppenfluchten miteinander

Weitere Kostenlose Bücher