Firkin 3: Das Wurmloch ins Biblioversum
Spalier zornig flatternder Transparente aus dem Saal aus. Innerhalb kürzester Zeit war der Saal leer, nur ein bedrückter Herausgeber und ein brummeliger Merlot waren noch zurückgeblieben. Und Arbutus, der es auf die Maus unter dem Hut des Zauberers abgesehen hatte.
»Meinst du das wirklich im Ernst? Diese Relativi…, äh, Realitätstheorie?« Der Herausgeber strich sich nachdenklich den Bart.
»Kein Souvenir aus der Realität …«, murmelte Merlot vor sich hin.
»Merlot …«, hakte der Herausgeber nach.
Arbutus ließ von seiner Maus ab.
»Er würde es auch dann nicht verstehen. War nie dort, und bläst sich auf …«, brummelte Merlot.
»Merlot!« brüllte der Herausgeber.
Arbutus drehte sich um und biß den Zauberer ins Ohr.
»Au! Was fällt dir …!«
»Ist es wahr?«
»Hä? Was?« Merlot schrak auf.
»Diese Geschichte mit der Realität.«
»Selbstverständlich.«
»Ja und …? Was sollen wir dann tun?«
»Das ist eine sehr gute Frage«, antwortete Merlot und verstummte.
»Nicht wahr? Also …«, bohrte der Herausgeber nach.
»Ich fürchte, ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß ich auch nur die leiseste Ahnung hätte. Aber abgesehen davon: Wenn es so weitergeht wie bisher, dann werden die Kapiteldimensionen schon bald entvölkert sein …«
Plötzlich dröhnte ohrenbetäubendes Pferdegetrappel durch den Saal. Drei Reiter sprengten durch das Tor, sie brüllten und schwangen Poloschläger.
»Wo steckt er?« schrie die Pest. »Nur noch dreißig Sekunden bis zum Schlußpfiff, und er verschwindet einfach! Wir haben das Pokalspiel verloren! Zum ersten Mal seit mehr als achthundert …«
Der Herausgeber schlug sich an die Stirn und stöhnte gequält.
»Geht’s um den Hunger?« wagte er den Tod und den Krieg zu fragen, die ihn mit gräßlichen Blicken anstarrten.
Die Pest nickte. »Allerdings. Unser Stürmer! Und er haut einfach ab …«
»Das ist eine ziemlich lange Geschichte«, ließ sie der Herausgeber wissen. »Merlot kann es Euch vielleicht bei einem Glas Wein genauer erklären.«
Der Tod stieg vom Pferd, und der Herausgeber zauberte zwei Flaschen unter dem Tisch hervor. »Rot oder weiß?« Er ließ sie die Etiketten sehen und lächelte nervös. »Wenn Ihr vielleicht Eure Schläger und die Pferde an der Tür abstellen wollt?«
Merlot schüttelte den Kopf. Warum ich? Er geriet in Panik. Warum muß ich bloß immer das Maul so weit aufreißen?
»Hört Ihr?« schrie Seine aufs höchste erregte Rechtschaffenheit, Hochehrwürden Patheter III., und legte die Hand ans Ohr.
»Was denn?« fragte Bharkleed.
»Schritte!«
»Ausgezeichnet! Pünktlich auf die Minute. So laß ich mir einen König gefallen«, sagte Seine Eminenz. »Und jetzt bitte Aufstellung nehmen!«
Im Nu hatten die drei Hohenpriester der Hochkirche von Sankt Mammon dem Ungewaschenen Schulter an indigoblauer Schulter neben Hochehrwürden Patheter Stellung bezogen, in der winzigen Kapelle von Sankt Absentius dem Ordentlich Abgeschriebenen, die nicht viel größer zu sein schien als eine Abstellkammer.
Daß diese Kapelle tatsächlich genauso groß war wie eine Abstellkammer, in der eintausendachthundert Federkiele (Gänsefeder), sechshundertsechzig Bogen Pergament (Briefqualität) und drei topmoderne tragbare Druckerpressen hätten deponiert werden können – das lag daran, daß sie zunächst für nichts anderes als eben für diesen Zweck gedacht war: als Abstellkammer, in der eintausendachthundert Federkiele (Gänsefeder), sechshundertsechzig Bogen Pergament (Briefqualität) und drei topmoderne tragbare Druckerpressen deponiert werden konnten.
Es hatte ihn erhebliche speichelleckerische Aufwendungen, sein eindrucksvoll ausgestattetes Nummernkonto im Ausland sowie die dreimalige Zahlung eines Zusatzhonorars an die Architektenbürogemeinschaft Unglauber, Lesterer & Syndiger (ein brandneuer, feuerroter Sportwagen pro Büromitglied) gekostet, aber dann hatte sich Seine inzwischen restlos bankrott gegangene Rechtschaffenheit Hochehrwürden Patheter III. seine eigene Gnadenstätte geschaffen. Nachdem er aber bei der Einweihung seiner Kapelle erlebt hatte, was leidenschaftliche öffentliche Nichtanteilnahme bedeutet, als ihm, nachdem er die Türen weit aufgetan, eine Woge ekstatischer Lethargie entgegengeschlagen war, da fragte sich Hochehrwürden Patheter, ob er sich nicht möglicherweise den falschen Heiligen ausgesucht hatte.
Vierundvierzig Jahre später fragte er sich das immer noch und wartete nach wie vor
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