Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
alles kaputt gemacht.«
»Was hat er denn gesagt? Er hat dich doch nicht etwa geschlagen?«
»Nein, nein, und auch die bösen Sachen hat er nicht zu mir gesagt. Er war auf sich selbst böse, auf die ganze Welt und auf Leute, die ich nicht kenne. Und auf seine Frau.«
Mama. Seit sie tot ist, habe ich meinen Vater nie über Mama reden hören, und dass er es jetzt tut, muss ich ausgerechnet von diesem kleinen Blödmann erfahren.
»Was hat er denn gesagt, hat er sie beleidigt?«
»Nein, nein. Er hat eine Menge Schimpfwörter gesagt und über Gott und die Madonna gelästert und alle möglichen Leute beschimpft, aber nicht seine Frau. Mit ihr hat er vor allem geredet.«
»Er hat mit ihr geredet?«
»Ja. Er hat gesagt Was soll ich denn jetzt machen, was soll ich nur tun? Und meiner Meinung nach, wenn ich das überhaupt sagen darf, Signore …« Bevor er den Satz zu Ende spricht, schaut sich der kleine Champion um, ob uns auch wirklich niemand hören kann, obwohl Muglione um diese Uhrzeit leergefegt ist wie nach einem nuklearen Kahlschlag. Trotzdem hält er die Hand an den Mund und sagt es mir ins Ohr: »Ich glaube, Signor Roberto hat auch ein bisschen getrunken …«
Wahnsinn. Mein Vater trinkt nicht. Mein Vater rührt nicht mal eine Zuppa inglese an, weil da Likör drin ist. Einmal hat er bei einer Taufe zwei Mon Chéri gegessen, da drehte sich ihm schon der Kopf.
»War das denn ein wichtiges Rennen heute?«
Der kleine Champion reißt die Augen auf und antwortet ganz stolz: »O ja, superwichtig, ich war das erste Mal bei einem Rennen außerhalb der Region!«
»Ach so. Und du hast verloren.«
»Ja, Signore. Es war nicht leicht, aber ich hab’s geschafft. Dank Ihnen.«
Ich nicke, aber nur kurz. Ich sehe sein dämliches Grinsen, das nicht aufhören will, dann sehe ich mein Spiegelbild im Schaufenster. Es ist dunkel, aber ein bisschen was kann ich trotzdem erkennen, und plötzlich kommt mir ein Gedanke, der mit diesem Gespräch nichts zu tun hat. Und eine Sekunde später sagt Mirko genau das, was ich gerade denke, unglaublich:
»Wenn Ihr Oberkörper nackt ist, Signore, sieht man besser, dass Sie nur eine Hand haben.«
Wirklich wahr. Derselbe Gedanke, dieselben Worte.
»Das weiß ich selber, du Hornochse, kümmer dich um deinen eigenen Kram. Nur weil du ein Rennen verloren hast, brauchst du jetzt nicht den Klugscheißer zu spielen.«
Ich betrachte mich immer noch im Schaufenster und denke, so hat mich Tiziana vorhin in ihrem Zimmer gesehen: eine Missgeburt, ein misslungener, unvollständiger Mensch, trotzdem hat sie mir eine Chance gegeben. Und ich habe sie verspielt. Zum Glück gab es wenig Licht. Zum Glück lag die Wohnung im ersten Stock.
Und zum Glück kommt jetzt ein schwarzer Multipla mit einem riesigen Totenkopf auf der Heckklappe angefahren. Er hält vor dem Laden, da drin sitzen meine Freunde und winken, jetzt bin ich erst mal ’ne Weile abgelenkt.
»Mensch, wo warst du denn?«, fragt Giuliano beim Aussteigen. Stefanino sagt Hallo, auch zu Mirko, der sich leicht verbeugt.
Giuliano zeigt auf mich und hebt den Daumen. »Du auch mit nacktem Oberkörper? Großartig, wird wohl langsam Mode!«
Ich sage Ja, denn um diese Uhrzeit möchte ich einfach nur meine Ruhe haben, da brauche ich keine Komplikationen. Aber hinten im Multipla sehe ich ein bleiches, ausdrucksloses Gesicht, und mir schwant, dass Ruhe kein Programmpunkt des heutigen Abends ist.
»Wer ist denn der Knirps da?«
»Ich heiße Mirko, guten Abend, Signori.«
»Mann, bist du hässlich. Wart mal, du bist doch der Schwachkopf, der Radrennen fährt. Stimmt’s?«
»Ja, Signore, guten Abend.«
» Ja, Signore, guten Abend … Wer bist du denn, der kleine Lord?« Giuliano lacht und klatscht Stefanino die Hand auf die Schulter. »Hey, Stefanino, der hier ist ja noch viel mieser dran als du!«
Ich lache, Stefanino auch. Der kleine Champion lacht ebenfalls und nickt.
»Was hat der denn jetzt hier zu suchen, dieser Trottel? Den können wir ja wohl schlecht mitnehmen …«
»Wieso«, sage ich, »wo gehen wir denn hin?«
»Unser Ding gegen die Alten durchziehen, oder? Wir können doch nicht aufh…« Giuliano unterbricht sich und schaut Mirko an. »Los, Kleiner, verpiss dich mal für fünf Minuten, wir haben hier was Ernsthaftes zu besprechen. Geh rüber zu der Ecke da, hopp hopp.«
Mirko zieht den Kopf ein, blinzelt uns kurz an und geht dann bis zur Hausecke, wo er stehen bleibt wie ein gelber Kegel.
»Noch weiter weg, verzieh dich
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