Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
legte, musste ich sogar leise lachen. Wir haben zusammen gelacht, meine Mutter und ich, falls es stimmt, dass die Toten sehen können, was wir tun. Unter der Puppe haben die anderen und ich ein Stück Pappkarton mit einer roten Aufschrift angebracht, haben das Ganze noch mal begutachtet und uns auf die Schulter geklopft. Dann sind wir wieder in den Multipla gestiegen und nach Hause gefahren. Der Erste, der am nächsten Morgen zum Friedhof kommt, findet die Puppe eines Alten am Friedhofstor aufgehängt und darunter in roter Farbe den Schriftzug:
HEUTE IST DIE NACHT DER NÄCHTE
UND DER FRIEDHOF WIRD EUER ZUHAUSE SEIN.
FRONT FÜR DIE NATIONALE VERJÜNGUNG
METAL D.
Wieder zurück im Laden. Mirko ist auf dem Stuhl eingeschlafen, den Kopf auf dem harten Ladentisch. Ich versuche, ihn zu wecken, aber er sieht so künstlich aus wie vorhin die Puppe.
Ich muss an meinen Vater denken. Wer weiß, ob er aufgehört hat, die Wohnung kurz und klein zu schlagen. Hoffentlich hat er mein Zimmer in Ruhe gelassen. Wenn nicht, wäre das echt fies. Aber wenn ich daran denke, dass mein Vater es zugelassen hat, dass sich dieser hässliche, trottelige Knirps um Mitternacht mutterseelenallein zum Schlafen hier auf den Gehsteig legt, brauche ich mich über gar nichts mehr zu wundern.
Ich nehme zwei von den Luftmatratzen für Karpfen und blase sie auf. Ich muss eine kurze Pause machen, weil mir schwindlig ist, dann lege ich sie in der Kammer neben meine Pritsche auf den Boden. Nicht dass ich ihn gern neben mir liegen habe, aber die Platzverhältnisse geben einfach nicht mehr her. Ich breite das Handtuch aus der Toilette drauf aus, gehe wieder rüber und rüttle diesen Trottel so lange, bis er aufrecht steht, schiebe ihn in die Kammer und lasse ihn sich hinlegen, während er weiterpennt.
Der hat’s gut. Ich versuche gar nicht erst zu schlafen. Es sind eine Menge Dinge passiert, die mit Sicherheit Folgen haben werden. Ich weiß nicht, welche, und ich weiß auch nicht, was ich dagegen machen kann. Ich weiß nur, dass ich heute Nacht nicht schlafen kann. Ich setze mich aufs Bett und fange an, in der neuesten Ausgabe von »Karpfenfischen leicht gemacht« zu blättern.
»Haben Sie was gegen die alten Leute, Signore?« Mirkos Stimme klingt belegt und zittrig. Wie sich vermutlich das Gespenst eines Wellensittichs anhören würde.
»Schlaf du«, sage ich.
»Vorhin hab ich gehört … Ihr wollt was gegen die Alten machen … Oder hab ich das falsch verstanden?«
»Ja. Schlaf jetzt.«
»Dieser komische Geruch, was ist …«
»Das sind die Würmer. Schlaf jetzt.«
»Und dieses komische Geräusch.«
»Das sind die Würmer. Egal, was du fragen willst, die Antwort ist Würmer, okay? Und jetzt schlaf.«
»Okay, Signore. Verzeihung und gute Nacht.«
Ein paar Sekunden ist es still. Dann:
»Ach, Verzeihung, Signore, vorhin war die Frau von der Jugendinfo hier. Sie hat nach Ihnen gesucht.«
Das hat er gesagt, ich schwör’s, und ich halte die Luft an, um genau zu verstehen, was noch kommt.
Da fängt dieser fiese kleine Champion doch tatsächlich an zu schnarchen.
ANGELN OHNE KÖDER
»Beißen sie?«, frage ich.
Mein Vater schüttelt den Kopf, ohne den Blick vom Schwimmer zu nehmen. Ihn hier am Kanal angeln zu sehen ist echt seltsam. Er hatte es mir beigebracht, als ich fünf war, aber seitdem habe ich ihn nie mehr mit einer Angelrute in der Hand erlebt. Unter normalen Umständen hätte ich hier nie nach ihm gesucht, aber ein Indiz hat mich auf diese Spur gebracht.
Als ich heute früh aufwachte (ein paar Stunden konnte ich schließlich doch schlafen), fand ich den kleinen Champion neben mir am Boden liegen und erschrak. Erst nach ein paar Sekunden fiel mir alles wieder ein. Ich bin aufgestanden und habe für ihn und mich Kekse und Milch hingestellt, kalte Milch, weil ich immer noch keinen Campingkocher habe, dann habe ich ihn in die Schule geschickt. Er wollte nicht und sagte Bitte, Signore, heute nicht, ich glaube, mir geht’s nicht gut, schicken Sie mich nicht hin .
Ich hab ihm erklärt, dass er schlechte Noten hat und im Juni die Prüfung machen muss und wenigstens zeigen sollte, dass er sich bemüht und nicht die Schule schwänzt. Ein weiser Rat, den ich mir selbst zu Herzen nehmen sollte, trotzdem musste ich ihn am Ende mit Gewalt auf die Straße hinausbugsieren. Das kann ich mit mir selber natürlich nicht machen. Statt in die Schule bin ich nach Hause gegangen, um
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