Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
hinter die Ecke!«, ruft Giuliano ihm hinterher.
Und jetzt hebt auch Stefanino die Hand, es ist unfassbar. Er macht ihm ein Zeichen zu verschwinden und ruft: »Weiter weg, haben wir gesagt, du Arschgeige!« Seine Augen funkeln so wild, wie ich es von ihm gar nicht kenne.
Und dann fängt Giuliano an: »Also Leute, ihr dachtet, ich würd die zweitausend Euro sofort auf den Kopf hauen, stimmt’s? Is aber nich. Das heißt, ein bisschen was davon schon, aber ich bin auch nach Bientina gefahren, wo meine Tante am Theater arbeitet, und seht mal, was ich da besorgt habe.«
Er öffnet die Tür des Multipla und zieht den blassen Kerl raus, der hinten saß: eine lebensgroße Puppe, die an die Decke und die Tür stößt und ihm einige Flüche abringt. Sie ist aus Stoff und ausgestopft mit einem Kopf aus Plastik. Sie trägt eine Gürteltasche um die Taille, eine weiße Perücke mit Bürstenschnitt und eine Brille.
Was dann kam, war klar. Ich habe das Rollgitter geöffnet, und der kleine Champion ist durch die Tür geschlüpft. Ich habe mir eine Fleecejacke angezogen, dann bin ich mit Giuliano und Stefanino ins Auto gesprungen, und wir sind bis zum Fuß des Colle del Cinghiale gefahren. Dort sind wir auf einen Weg eingebogen, der anfangs noch asphaltiert ist, und schließlich standen wir vor dem Tor des Friedhofs von Muglione.
Es war stockdunkel, und in der Luft lag dieser modrige, nach Kanal stinkende Bodennebel. Nur die Grabkerzen brannten, im Nebel wirkten sie wie lebendig, als würden verlorene Seelen durch die Nacht irrlichtern.
Wir legten der Puppe eine Schlinge um den Hals und hängten sie am Friedhofstor auf. Als wir unser Werk aus der Entfernung betrachteten, die im Nebel baumelnde Puppe, im Hintergrund die Grabsteine und Grablichter, hatte ich ein ganz mulmiges Gefühl im Bauch.
Meine Mutter liegt ja auch auf diesem Friedhof, weiter hinten an einer Mauer, wo die Familiengruften beginnen. Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl, als würde ich ihr damit etwas antun. Aber das ist Quatsch: Ich habe mir ganz kurz in Erinnerung gerufen, wie sie war, meine Mutter, und wusste sofort, dass ihr diese Aktion gefallen hätte.
Die Leidenschaft für Horrorfilme habe ich von ihr, sie fuhr mehr drauf ab als Tiziana und ich zusammen. Horrorfilme wurden immer spät nachts gezeigt, aber auch als ich noch klein war, blieb ich auf und schaute sie mir mit meiner Mutter an, während aus dem Schlafzimmer Papas Schnarchen herüberdrang.
Wir kuschelten uns unter die Decke und sprachen keinen Ton. Manche Horrorfilme, vor allem die aus den siebziger Jahren, die nachts von Lokalsendern ausgestrahlt wurden, waren voll krasser Szenen mit gruseligen Monstern, aber auch mit Sex, Orgien und lesbischen Mädchen, die es in einer Gruft miteinander trieben, bevor sie vom Geist eines Barons umgebracht wurden, der sich in einen Werwolf verwandelt hatte.
Wenn solche Szenen kamen, hatte meine Mutter einen Trick parat: Sie schickte mich in die Küche, um ihr eine Praline zu holen. Auf dem Bildschirm lief zum Beispiel eine Nonne den Korridor eines Klosters entlang, Blitze zuckten, die Nonne öffnete eine Tür einen Spaltbreit und sah eine andere, halbnackte Nonne, die sich hin- und herwälzte und merkwürdige Dinge auf Lateinisch sagte und … meine Mutter schickte mich in die Küche, um ein Schokolädchen zu holen.
Ich grummelte, aber sie verzog den Mund und sagte Ich hab solchen Hunger, ich fall gleich in Ohnmacht … Also ging ich los, holte die Praline und kam ganz schnell wieder, aber die Szene war vorbei, es war wieder helllichter Tag, und alles schien ruhig. Je mehr solche krassen Szenen es gab, desto öfter musste ich Pralinen holen. Einmal hab ich ihr gesagt Ich bring dir die ganze Schachtel , und sie Nein, nein, nur eine, sonst wird es mir zu viel . In der Tat könnte ich den Horrorgrad der mit ihr zusammen gesehenen Gruselfilme anhand der Anzahl von Pralinen messen, die ich ihr gebracht habe. Frankensteins Höllenmonster : keine Praline. Die Nacht der reitenden Leichen : fünf Pralinen. Sexual-Terror der entfesselten Vampire : An jenem Abend habe ich den Flurfußboden verschlissen, und meine Mutter war drauf und dran, Diabetes zu bekommen.
Wieso erzähle ich das alles? Weil ich glaube, dass meiner Mutter die Vorstellung einer Puppe, die bei Nacht und Nebel am Friedhofstor aufgeknüpft wird, sehr gefallen hätte. Ich brauchte mir also keine allzu großen Sorgen zu machen. Im Gegenteil, während ich der Puppe die Schlinge um den Hals
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