Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
aufhören, Fiorenzo, lassen wir das, entschuldige, es war mein Fehler, bitte geh jetzt . Das hättest du ganz leicht sagen können. Hast du aber nicht. Auch nicht, als du gesehen hast, dass er nicht mal imstande war, sich ein Kondom überzustreifen. Nein, auch da hast du nicht aufgehört, sondern es selbst versucht, und als er dann gestöhnt hat und gekommen ist … da bist du dann endlich aufgewacht und in die Realität zurückgekehrt. In die Welt von Tiziana Cosci und zu dem, was Tiziana Cosci sich soeben geleistet hat.
Vielleicht spricht sich die Nachricht herum, und die Leute zerreißen sich das Maul und zeigen mit dem Finger auf dich und jagen dich aus der Jugendinfo, und vielleicht gibt es sogar einen Artikel in der Zeitung.
Aber das Verrückte ist, dass du in diesem ganzen Schlamassel vor allem eine Sorge hast: Wo mag Fiorenzo jetzt sein? Warum ist er durchs Fenster abgehauen, statt ins Zimmer zurückzukommen?
Er ist weggelaufen wie ein Kind, das etwas angestellt hat und sich vor seiner Mama fürchtet. Eine dumme, kindische Reaktion. Nur: Er ist entschuldigt, er ist ja noch ein Kind.
Aber du?
DER SIEG DER NIEDERLAGE
»He, aufwachen!«
Ich schüttle ihn, aber der Blödmann schläft weiter. Mit dem Oberkörper liegt er auf der Schwelle zum Laden, die Beine hat er auf dem Gehsteig, weiß der Geier, wie man so schlafen kann. Er zieht ein Augenlid hoch und blinzelt mich an, dann lässt er es wieder zufallen. Ich schüttle ihn noch mal.
»Los, wach auf!«
»Guten Tag, Signore.«
»Was redest du da. Es ist Mitternacht.«
»Oh, Verzeihung. Geht es Ihnen gut?«
»Was machst du denn hier um diese Uhrzeit!«
»Ich hab’s geschafft. Haben Sie’s gesehen, hab ich es gut gemacht?« Mirko richtet sich auf. Seine Locken sind jetzt plattgedrückt und sehen aus wie ein Stück verfilzter Teppichboden in Würfelform. Noch hässlicher als sonst, falls das überhaupt geht. »Beim Rennen heute, haben Sie’s nicht gesehen?«
»Nein, die Rennen sind mir scheißegal. Was hast du denn gemacht, hast du wieder gewonnen? Das wär ja ganz was Neues … hoch lebe der kleine Champion …«
»Nein, ich hab es so gemacht, wie Sie gesagt haben, Signore, ich hab verloren.«
»Ach ja?«
»Ja! Und zwar so richtig. Ich bin … weiß nicht, Zwanzigster, Fünfundzwanzigster geworden …«
»Gut, Mann. Ehrlich?«
Er steht auf, lächelt, nickt immer heftiger und fängt an, vor Freude herumzuhüpfen.
»Sie hatten recht, Signore. Verlieren ist überhaupt nicht schwer. Ich bin ganz ruhig im Hauptfeld geblieben, dann hat sich eine Gruppe abgesetzt, und es war klar, dass ich da hätte mitziehen müssen. Das war hart, denn ich hatte den starken Drang, ein bisschen mehr in die Pedale zu treten, dann hätte ich sie eingeholt. Aber ich hab mir gesagt Nein, Mirko, konzentrier dich, hör auf zu treten, du schaffst das … , und am Ende hab ich’s tatsächlich geschafft!«
Er ist ganz aufgekratzt, als er mir vom schönsten Rennen seines Lebens erzählt. Ähnlich aufgedreht war ich mit vierzehn, bei einem der letzten Rennen vor jenem Nachmittag am Kanal. Ich stieg als Dritter aufs Treppchen, es war meine beste Platzierung überhaupt, und ich fühlte mich wie ein Weltmeister. Mein Vater meinte Siehst du, Fiorenzo, hab ich’s dir nicht gesagt? Du musst dir nichts draus machen, wenn du nicht gleich gewinnst. Du bist ein Naturtalent und wirst im richtigen Moment rauskommen . Da hab ich ihn gefragt, ob das jetzt der richtige Moment sei, ob ich dabei sei rauszukommen, und er hat mir fest in die Augen gesehen, übers ganze Gesicht gegrinst und gemeint Sieht ganz danach aus, Fiorenzo, sieht ganz danach aus .
Dann kam es, wie es kommen musste. Aber jener Tag war großartig.
»Entschuldigung, Signore, aber darf ich Sie fragen, warum Sie obenrum nackt sind?«
»Nein, das darfst du mich nicht fragen.«
»Ist gut. Verzeihung. Es ist nur, weil Sie normalerweise sehr schöne T-Shirts anhaben, so welche würde ich auch gern tragen. Am liebsten eins mit ’nem Totenkopf, Totenköpfe finde ich gut, weil sie immer grinsen.«
»Okay, aber hör mal, was zum Teufel machst du hier um diese Zeit?«
»Ich weiß, es ist spät, Verzeihung, Signore, und ich weiß, dass das Ihr Zuhause ist und …«
»Na ja, eigentlich bin ich da zu Hause, wo du jetzt wohnst, du Armleuchter.«
»Ja, Sie haben recht, Verzeihung. Aber heute Abend konnte ich da nicht bleiben, weil Signor Roberto ist schrecklich wütend. Er hat sehr böse Sachen gesagt und geschrien und
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