Fische füttern - Genovesi, F: Fische füttern - Esche Vive
Gute-Nacht-Wichs, aber danach lag ich wach. Du weißt doch, was das ist, ein Gute-Nacht-Wichs?«
Mirko hebt den Blick nicht vom Schwimmer, er hat wieder diese absurden Zuckungen und sagt keinen Ton. Ich bin sicher, er weiß, wovon ich rede. Der Gute-Nacht-Wichs ist ein Klassiker. Eine magische Brücke von der realen Welt in die Welt der Träume. Ein Ort, an dem deine Freundinnen beschließen, nicht mehr nur gute Freundinnen sein zu wollen, und die neue Aushilfslehrerin dich unter vier Augen im Lehrerzimmer sprechen will. Vielleicht besuchst du auch einen Freund und öffnest aus Versehen die Tür zum Zimmer seiner großen Schwester, die dann halbnackt vor dir steht. Du entschuldigst dich, und sie sagt Aber ich bitte dich. Ach, übrigens, mir ist grad so langweilig. Hilfst du mir, ich krieg meinen BH nicht auf . Jedenfalls treibst du diese Phantasien immer weiter, bis du so weit bist, und dann, wenn es vorbei ist, fühlst du dich leer und leicht und wie im Wunderland und kannst gut einschlafen.
»Aber ich konnte nach dem Gute-Nacht-Wichs einfach nicht einschlafen. Und weißt du, warum? Weil ich aufstehen und mich waschen musste und dabei natürlich knallwach wurde. Es war kalt da draußen, das Wasser eisig und das Licht im Bad grell, und als ich dann wieder im Bett lag, war ich hellwach. Ich versuchte es mit Papiertaschentüchern, aber das ist total unpraktisch. Mit nur einer Hand musste ich aufpassen, das Bettlaken nicht schmutzig zu machen, na, jedenfalls war es voll umständlich. Und du, du Champion, hast du’s schon mal mit einem Taschentuch probiert?«
Mirko antwortet nicht, er schaut mich nicht an, er atmet nicht.
»Na los, sag schon, nimmst du ein Taschentuch, ja oder nein?«
»Entschuldigung, Signore, hat diese Geschichte was mit dem Kater-Sylvester-Glas zu tun?«
»Stell dich nicht dumm, du weißt genau, dass sie was damit zu tun hat. Und wie. Na, jedenfalls kam mir irgendwann die geniale Idee mit dem Glas«, sage ich und hole tief Luft. »Zumindest dachte ich, sie ist genial, aber du weißt ja, wie es ausging, und deshalb können wir sagen, dass sie alles andere als genial war.«
Ich höre für einen Moment auf zu sprechen. Ich denke an meine Mutter, an ihr Lächeln, wenn ich ihr etwas erzählte und an einem bestimmten Punkt stockte, weil ich mich schämte oder weil ich die Spannung steigern wollte. Auch bei guten Nachrichten, wenn ich zum Beispiel aus der Schule kam und sie wissen wollte, welche Note ich bekommen hatte, ich aber nicht sofort antwortete. Meine Mutter hielt dann schon ein Lächeln bereit, weil es mindestens eine Drei gewesen war, und rief Was ist denn, träumst du? Komm schon, sag es mir, mach’s nicht so spannend .
Sie fehlt mir, meine Mutter, und wie. Und jetzt fehlt mir auch noch Tiziana, aber es ist nicht so, dass mir deshalb meine Mutter weniger fehlen würde. Im Gegenteil, sie fehlt mir jetzt vielleicht sogar noch mehr. Ein Verlust wird nicht durch einen anderen ausgeglichen, hier drin ist genügend Platz für alle beide, das Maß der Traurigkeit wird nie voll.
Und wenn ich daran denke, dass meine Mutter ohne dieses Kater-Sylvester-Glas vielleicht noch am Leben wäre … Kann das sein? Nein … doch … boh, ich schwöre, ich weiß es nicht.
»Also wenn ich es richtig verstanden habe, Signore, haben Sie das Kater-Sylvester-Glas benutzt, um …«
»Ja, das hast du richtig verstanden, bravo, Eins plus. Ich habe es statt des Taschentuchs benutzt, und es hat prima funktioniert. Eine saubere Sache. Nur dass ich danach … Na ja, wenn ich danach aufgestanden und ins Bad gegangen wäre, um es sauber zu machen, wäre das Problem dasselbe gewesen. Und weißt du, was ich gemacht habe? Natürlich weißt du es, du weißt ja alles, sag du mir, was ich gemacht habe.«
»Aber ich …«
»Komm schon, wenn du’s nicht sagst, erzähl ich nicht weiter.«
»Sie haben das Glas einfach stehen lassen und sind eingeschlafen?«
»Exakt. Siehst du, du weißt es. Ich hab es unters Bett gestellt, um es am nächsten Morgen auszuspülen, und hab wunderbar geschlafen.«
Ich unterbreche mich. Um den Schwimmer hat sich ein kleiner Kreis gebildet, der immer größer wird. Ein Zeichen, dass etwas den Haken berührt hat. Aber es könnte alles Mögliche sein, auch eine dumme Kaulquappe, die im Vorbeischwimmen an den Kork gestoßen ist. Oder vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, ich bin nervös und weiß nicht, was ich da sehe. Diese Geschichte mit dem Glas habe ich noch nie jemandem erzählt,
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