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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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mit Sonderangeboten von «LoodenBau». Gartenlauben und Autoreifen und so ein Kram. Dirks Vater, der inzwischen Geschäftsführer war, hatte beim Aufbau von Liekedeler ziemlich viel spendiert. Und nun dachten alle, er wäre ein klasse Typ, er war ein hilfreicher Mensch in den Köpfen der Leute in dieser Stadt. Dass es ihm bei seiner Großzügigkeit wohl lediglich darum ging, dass Dirks Dummkopf ein bisschen trainiert wurde, wussten die wenigsten. Doch Gesa dachte sich ihren Teil; sie war ja nicht blöd.
    Dirk war nicht viel anders als die anderen Liekedeler-Kinder, die einzigen Unterschiede bestanden darin, dass bei ihm zuHause Geld wie Heu vorhanden war und dass Dirk wirklich dumm war. Normalerweise wäre er gar nicht das passende Kind für die Stiftung gewesen. Gesa hatte viele Kinder kommen und gehen sehen, sie wusste genau, wie man sein musste, um bleiben zu können. Und mangelnde Intelligenz war ein Grund, dass einem die Türen zu diesem wunderbaren Haus für immer verschlossen blieben. Doch Dirk war noch nicht einmal schlau genug, das zu erkennen: Seine Eltern hatten sich seinen Platz in dieser Gruppe erkauft, damit sie ihre Ruhe hatten. Sollte Dr.   Schewe sich doch darum kümmern. Es hieß doch, dass man bei Liekedeler die Intelligenz eimerweise kaufen konnte.
    «Fischer, wie tief ist das Wasser?»
    «Fünf Zentimeter», brüllte Henk und hielt sich die Hand vor seinen lachenden Mund.
    «Wie kommen wir rüber?»
    Henk, Dirk und Ingo steckten ihre Köpfe zusammen, überlegten sich etwas, dann lachte Henk auf und antwortete: «Ihr seid Seifenblasen.»
    Gesa rannte schnell und wütend zur anderen Seite, beinahe wäre sie in den Graben gerutscht, der sich nur ein paar Zentimeter hinter dem Wegende unter langen, dürren Brennnesseln verbarg. Sie schaute zurück, beobachtete das Rennen und Fangen der anderen und lachte über diesen albernen Ernst, mit dem die Kinder spielten. Alle anderen dachten natürlich, es mache ihr Spaß!
    Jolanda war wirklich eine Seifenblase, sie schien den runden, hauchdünnen Film aus schimmerndem Seifenwasser um sich herum zu fühlen und schwebte ganz kitschig über den Rasen. Sie war neben Gesa das einzige Mädchen hier, war vor drei Jahren aus Polen gekommen und konnte innerhalb von vier Monaten fließend Deutsch und spielte Klavier wie ein Engel. Gesakonnte Jolanda neben sich dulden, ohne Probleme. Jolanda war zwar beliebt und hatte wirklich was auf dem Kasten, doch im Prinzip war sie nur Mittelmaß. Jolanda wandelte noch immer auf dem Rasen, sie war eine leichte Beute, jeder Fischer konnte sie einfangen, mit einer flüchtigen Bewegung wäre sie in der Falle gewesen, sie schien das Spiel vergessen zu haben. Eine Seifenblase   …
    «Jolanda Pietrowska, pass bloß auf!», schnaufte Dirk, und seine Rübe sah aus, als könne sie jederzeit explodieren.
    Sie schien ihn nicht zu hören.
    Henk lachte sein lautes, eifriges Lachen. «Ich bin hier der Oberfischer, Dirk. Dieses Vieh gehört mir.» Und er rannte Jolanda entgegen, nahm Anlauf, sprang beinahe.
    «Komm endlich zu mir rüber, Jolanda», schrie nun auch Gesa, denn mit einem Mal schien es ihr wirklich wichtig zu sein, dass Henk sein Ziel nicht erreichte, dass Jolanda schneller war und verschwand. Henk sollte nicht immer der strahlende Sieger sein. «Wach auf, Jolanda! Nur ein paar Schritte und du bist bei mir!»
    Henk rannte weiter, er war schnell und wollte nun unbedingt gewinnen. Nur ein paar Schritte. Jolanda schien noch immer in einer anderen Welt zu sein, sie drehte sich zwar nicht mehr um sich selbst, sondern hielt kurz inne, aber sie rührte sich kaum und glotzte nur dümmlich vor sich hin, als verstehe sie gar nicht, was die anderen von ihr wollten.
    «Jolanda!», schrie Gesa.
    Und dann sprang Henk sie an wie ein Tiger, riss sie um, sie knallte mit dem Kopf auf einen dieser harten, grauen Steine, die zu schwer zum Hochheben waren. Henk hatte sich ein Stück ihres hellblauen Kleids gekrallt, hielt es fest, jauchzte und schrie.
    «Ich hab sie, ich hab sie!» Er saß auf Jolandas Körper, schien auf ihm zu reiten, und er strahlte über das ganze Gesicht. Henk Andreesen war wie verrückt vor Glück.
    So ein Idiot, dachte Gesa. So ein kindischer Idiot. Sieht das Kleid in seiner Hand, sieht den Sieg über die anderen Kinder, sieht die Lehrer ihn noch ein lächerliches bisschen mehr lieben. Doch er sieht nicht, dass eine zähe, dunkelrote Masse aus Jolandas Ohr läuft und auf den rauen Stein tropft.
     
    Dr.   Veronika Schewe irrte

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