Fischer, wie tief ist das Wasser
Bord. Als hätte er meinen Gedanken gelauscht, drehte er sich um und fragte: «Willst du wirklich?»
Und ich nickte, half ihm, die Sachen im Boot zu verstauen, bevor ich mich selbst auf das leicht schaukelnde Boot schwang. Im vorderen Teil war eine kleine Kajüte, wenn man hineinkroch, konnte man ein gepolstertes Dreieck zum Hinlegen sehen. «Ziemlich einladend», sagte ich und hoffte, dass ich nicht errötete.
«Wir werden den Außenbordmotor anwerfen müssen, mit dem Wind heute kommen wir nicht weit», meinte Sjard und schaltete einige eckige, schwarze Geräte an. «Funkkontakt, für alle Fälle!»
«Kann ich irgendetwas tun?», fragte ich, als ich mir meiner untätigen Hände bewusst wurde.
Er trat an die vertäute Seite des Bootes und löste die roten Plastikballons, die die Stöße zwischen Steg und Bootsrumpf auffangen sollten. «Klar, du kannst die vorderen Seile einholen, dann können wir gleich los. Ich habe keine Lust, auch nur eine Sekunde länger hier in der Affenhitze zu bleiben. Auf See ist es sicher herrlich kühl, warte ab.»
Ich streifte mir die Sandaletten ab und balancierte mit wunderbar nackten Füßen zur Spitze des Bootes. Ein braun gebrannter Mann lief auf dem Steg an uns vorbei, grüßte kurz, wünschte gute Fahrt, dann band ich die Taue los und der Motor gab hinten ein behagliches Tuckern von sich. Als wir aus der Box fuhren, saß ich vorn und meine Beine baumelten nackt über den Rand, sodass meine Zehenspitzen ab und zu ein paar kühle Spritzer Meerwasser abbekamen.
Das Boot setzte sich langsam in Bewegung, Sjard saß hinten am Ruder und manövrierte uns erst aus dem kleinen Yachthafen, dann hatten wir schon bald Norddeich-Mole und sein geschäftiges Treiben an den Fähranlegern und Fischkuttern hinter uns gelassen und gaben uns der Weite des Wattenmeeres hin.
Es ging mir gut.
Es war kühl, wie er gesagt hatte. Ich konnte tief atmen, wollte so tief atmen, dass ich platzte oder losgelöst wie ein Ballon den Himmel eroberte.
Rechts vor uns baute sich Norderney auf wie eine kleine Großstadt im Nirgendwo, links konnte man im pastellfarbenen Sommerdunst die Umrisse von Juist ausmachen, doch wir hatten ja kein Ziel, zumindest keinen Ort, an den wir wollten. Höchstens die wenigen Schritte zur Matratze galt es zu überwinden, wenn wir dort ankommen sollten, was ich mir heimlich wünschte.
Am Anfang nutzten wir die ganze Distanz, die das kleine Bootfür uns hergab. Langes, genussvolles Schweigen, ich ganz vorn wie eine Galionsfigur, die sich erwartungsvoll den neuen Wasserwegen entgegenschob, die er ganz hinten mit der hölzernen Pinne in der Hand vorgab.
Ich wusste, ich war es, die sich ihm nähern musste, wenn es Zeit dafür war. Jetzt noch nicht, dachte ich, als eine beinahe schwarze Wolke aufgeregter Seevögel über uns hinwegzog. Und auch als am Ostende von Juist eine Robbe einen Steinwurf von uns entfernt in der Sonne döste, blieb ich sitzen.
Das Meer zwischen den Inseln und dem Festland hat einen eigenen Zauber, es ist grau und fast ohne Konturen, verschwommen und unklar wie ein Aquarell. Wo endet die Erde, wo beginnt der Horizont? Man hört kein Geräusch, außer dem Rufen und Schreien der Vögel und das Gluckern des Wassers am Kiel. Alles, was man sieht, ist so selbstverständlich und schön, dass man es lieber nicht beachten sollte. Man muss es hinnehmen, damit kein Augenblick verloren geht. Man weiß, dass man etwas hinter sich gelassen hat, und ahnt, das die Zukunft einen zerreißen kann, und doch will man keinen Millimeter zurück.
Von dem Moment an, wo ich wie von selbst aufstand und an der Bordwand entlang nach hinten balancierte, wusste ich genau, wohin meine Schritte führen.
7.
Sjard rückte vom Ruder ab und ließ mich seinen Platz einnehmen. Auf meiner Hand, die das Segelboot nun lenkte, lag die seine und der Arm schob sich zärtlich an meinem Rücken entlang.
«Willst du darüber reden?», fragte ich leise.
Er schaute mich von der Seite an. «Über was? Über Liekedeler oder über … uns?»
Ich wusste, wir sollten über Ersteres reden. Wir sollten klare Worte finden, die vielleicht wehtaten. Es war mir nicht möglich, ihm wirklich zu trauen, doch ihm in diesem Moment mein Misstrauen zu gestehen, war noch viel unmöglicher. Es gab keine richtige Antwort auf seine Frage, deshalb schwieg ich.
«Ich habe dir versprochen, dass ich den Dingen nachgehen werde, die es dir so schwer machen, mir zu vertrauen. Mehr kann ich wirklich nicht tun, zumindest nicht in
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