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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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kein schnurrendes, sich erst ankündigendes Gewitter, es war bereits das tosende Brausen, das uns keine Chance zur Flucht ließ.
    «Mist», entfuhr es Sjard, er löste sich von mir und stellte seinen nackten Körper mit einem Sprung auf die Beine. Sein Gesicht blickte dem Himmel entgegen. Wie Tränen rollten die ersten Regentropfen über seine Wangen, sekundenlang hingen sie an seinem Kinn, und als sie von dort hinunterfielen, da hatte der Regen sein Gesicht bereits mit Nässe überzogen. Es war, als hätte man die Sturzbäche mit einem Schalter angestellt, als hätte man eine Barriere in den Wolken gelöst, sodass nun das ganze Wasser des Himmels in einem unaufhörlichen Schwall über uns ausgegossen wurde.
    «Mist», sagte Sjard wieder und kam kurz zu mir zurück, zog sich sein Shirt und die kurze Hose über und griff in eine Nische hinter mir. Erst konnte ich mit dem grellen Klumpen in seiner Hand nichts anfangen, erst als er mir eines davon in den Arm warf und sich selbst das andere überzog, erkannte ich, dass es Rettungswesten waren.
    «Jetzt machst du Witze», spottete ich. «Wir sind hier auf dem ostfriesischen Wattenmeer und nicht im Bermudadreieck.»
    Er lachte nicht. Sjard hatte gleich erkannt, dass es nichts zum Lachen gab.
    Ich streifte mein durchschwitztes Sommerkleid und die unförmige Weste über, und als ich endlich aus dem Bootsinnerenkroch, erkannte auch ich, weshalb wir in Gefahr waren: Der Wind und das auflaufende Wasser pressten uns mit voller Wucht auf die Sandbank, die den Bug unseres Bootes festhielt. Und die ersten aufgepeitschten Wellen warfen sich bereits über die Bordwand.
    «Wir müssen von der Sandbank runter, sonst läuft uns das Boot voll», schrie Sjard. Das Klatschen des wilden Meeres und das Dröhnen des Windes schwollen an, ich konnte Sjard kaum verstehen, doch ich wusste, was er wollte. Es war offensichtlich: Wir mussten hier weg. Und zwar sofort.
    Ein splitterndes, reibendes Knarzen im vorderen Teil des Bootes ließ uns hochschrecken. Es wurde mit jeder heranbrausenden Welle lauter und eindringlicher, wir spürten ein hartes Rucken, ein Stoßen, so, als würde das Boot gegen etwas Hartes, Spitzes geschleudert werden. Ich kannte sie nicht, die Gefahren beim Segeln, doch ich kannte das Geräusch von brechendem Holz.
    Sjard sprang von Bord, das Wasser war nicht tief, es war beinahe lächerlich, dachte ich, dass wir uns verrückt machen ließen, schließlich stand er nur bis zu den Knien im Meer, lediglich die Wellen waren hoch. Sjard hangelte sich an der Bordwand entlang zur Spitze des Bootes.
    «Was ist los?», rief ich ihm zu, beugte mich weit über die Bordwand und sah, wie er unter Wasser mit den Händen die Bugspitze abtastete. Er war durch und durch nass, das Shirt klebte an seinem Körper, die hellen Haare auf seiner Stirn.
    «Wir werden auf diese verdammte Sandbank gedrückt und ich glaube, unter der Oberfläche liegen Steine oder so was», rief er zurück, nicht wirklich beunruhigt, doch mit einem Gesicht, dem man ansah, dass es in seinem Kopf rotierte. «Okka, schau mal innen nach, ob irgendetwas beschädigt ist.»
    Ich kroch mühsam auf allen vieren zurück auf die Matratze, der Druck meiner Hände und Knie ließ bereits Wasser aus dem Schaumstoff hervorquellen. Als ich die vorderen Kissen zur Seite schob und mir dabei einen streichholzgroßen Splitter in den Handballen rammte, fand mein Blick einen faserigen Riss von der Länge meines Unterarmes, durch den das Wasser nicht etwa tropfte, sondern schoss wie bei einem Rohrbruch. Erst jetzt merkte ich, dass die Koje bereits voll sein musste mit Seewasser.
    «Es hat die Bordwand zerrissen», schrie ich, doch Sjard konnte mich nicht hören, ich musste wieder nach hinten robben. Ich warf den Kopf zurück, rutschte auf der schwimmenden Liegewiese aus und fiel mit dem ganzen Körper in eine Pfütze aus salziger Kälte. Mir kam der Gedanke, dass wir sinken könnten, kurz und präzise schoss er mir durch den Kopf.
    «Wir sind leckgeschlagen, stimmt’s?», brüllte er mir zu, er war bereits wieder nach hinten gewatet, stand nun schon bis zur Hüfte im grauen Meer und griff nach einem Seilende, an dem er sich wieder an Bord ziehen wollte.
    «Es sieht nicht gut aus, verdammt, das Boot läuft viel zu schnell voll.»
    «Was sollen wir tun?», fragte ich schneidend. Ein gleißender Blitz zuckte vom tiefen, schweren Himmel hinab auf das Meer, ich hatte das Gefühl, dass er sich nur wenige Meter von uns entfernt mit einem reißenden

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