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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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ähnlich sehen, so viel stand fest.
    Es blieb mir keine Zeit, abrupt lief ich Richtung Vordertür.
    «Bleiben Sie hier, Frau Leverenz», rief Veronika Schewe hinter mir her. «Die Polizei wird gleich hier sein!» Doch ich hörte nicht hin, hatte auf Instinkt umgeschaltet, spürte nicht die Schmerzen in meinen Beinen. Ich war noch verdammt schwach. Wohin sollte ich gehen? Darüber durfte ich jetzt nicht nachdenken.
    Mein Rad stand neben den Eingangsstufen. Ich setzte mich ungeschickt auf den Sattel und fuhr los, fuhr, so schnell ich konnte. Ich hielt krampfhaft den Lenker fest, denn ich hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren. Es musste schnell gehen. Ich drehte mich nicht um. Ich war auf der Flucht.
    Als ich in Richtung Deich abbog, sah ich aus den Augenwinkeln zwei Polizeiwagen auf das Grundstück fahren. Ich drehte mich nicht um.
     
    Irgendwann, als ich schon einige Kilometer ziellos mit dem Rad gefahren und meine Kehle von der Anstrengung trocken war, fielen mir ein paar Worte ein, die Henk einmal zu mir gesagt hatte. Es war an dem Tag gewesen, als ich ihm das erste Mal begegnet war, ihm und Sjard. War es wirklich erst fünf Wochen her?
    «Sie können mich ja mal besuchen, vielleicht fahren Mama und ich ein paar Tage dorthin.» Das hatte Henk zu mir gesagt und ich hatte seine Einladung nach Juist mit einem amüsierten Lächeln abgetan. Im selben Moment, als mir dieser Satz wieder in den Sinn kam, lenkte ich das Fahrrad Richtung Norddeich.
    Eine große weiße Fähre lag im Hafen, sie schien auf mich zu warten. Die Rampen lagen zum Hinaufgehen bereit, nächste Abfahrt der «Frisia IX» nach Juist um 14.45   Uhr, also in fünf Minuten.
    Ich stellte mein Fahrrad am Hafen ab und mischte mich unter die erwartungsvollen Passagiere, denen man die Vorfreude auf einen sonnigen Familienurlaub von den Gesichtern ablesen konnte. Ich beneidete sie, auch um die Sicherheit, die es bedeutete, Geld in der Tasche zu haben.
    «Mama, wenn wir da sind, krieg ich dann ein Eis?»
    «Sind wir länger unterwegs als eine Stunde?»
    «Wie weit ist es vom Hafen bis zum Hotel?»
    Ich setzte mich auf eine der roten Kunststoffbänke und schloss die Augen, hörte das Abfahrtsignal, die blecherne Durchsage «Die Frisia IX fährt nach Juist und wir legen jetzt ab», ich merkte kaum den Ruck. Beruhigend summten die Schiffsmotoren unter meinen Füßen. War es wirklich eine so gute Idee, auf eine Insel zu flüchten? Von dort gab es keinen Ausweg. Nur diese Fähre und ein paar winzige Flieger. Doch würden sie eine Person,die seit heute als mutmaßliche Kindesentführerin galt, gerade deshalb ausgerechnet auf Juist suchen? Überall, nur nicht dort. Es war die richtige Entscheidung. Ich vermutete, dass sie meinen Vater nach meinem Verbleib befragen würden.
    Ich öffnete die Augen und blickte auf das Watt. Es sah wieder friedlich aus, hellgelber Sonnenschein spiegelte sich funkelnd auf den kleinen, malerischen Wellen. Es war nicht mehr so warm wie am Samstag, doch es war dasselbe Meer, das uns erst erfreut und dann in Gefahr gebracht hatte.
    Ein aufgedrehter Junge mit blondem Haar stieg auf die Sitzbank, lief hinter meinem Rücken entlang.
    «Papa, die Frau weint ja», rief er aufgeregt, und erst da bemerkte ich meine nassen Wangen und das Brennen in meinen Augen. Ich lächelte dem Knirps zu.
    «Alexander!», sagte der Vater tadelnd, dann blickte er wieder durch sein Fernglas.
    «Kann ich auch mal durchschauen?», fragte der Junge und hüpfte aufgeregt, als sein Papa ihm die Gläser reichte.
    «Schau, bei Ebbe ist das alles trocken hier und nur bei Flut können die Schiffe nach Juist fahren, nur dann ist das Wasser hier tief genug.»
    «Kann man hier auch ertrinken?»
    «Nein, ich glaube nicht», sagte der Vater.
    Das Gefühl, in Sicherheit zu sein, breitete sich wohlig in mir aus und ich glitt in einen kurzen Schlaf, in dem ich träumte, Gesa läge immer noch friedlich in ihrem weißen Krankenhausbett.
     
    «Ich habe keine Ahnung, wo wir sie finden können. Ich habe auch keine Ahnung, wie viel sie weiß oder ahnt.»
    «Verdammt nochmal», fluchte Birger Isken, ohne sich dafür zu entschuldigen, wie es sonst seine Art war. «Ich dachte, ihr hättethier alles im Griff. Ich habe weiß Gott genug in diesen Laden investiert, dann kann ich doch eigentlich erwarten, dass alles glatt läuft.» Er ließ seine flache Hand auf den Tisch knallen, sodass alle im Raum zusammenzuckten. «Gerade jetzt, wir sind so kurz davor, nur noch ein paar   … was weiß ich,

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