Fischer, wie tief ist das Wasser
es war eine Spritze. Als sie schreien wollte, merkte sie, dass ihre Lippen verklebt waren. Ihr Hilfeschrei wurde noch im Mund erstickt.
Ich habe Angst, dachte sie verwirrt, o Gott, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so eine Angst gehabt. Doch kaum ebbte der Schmerz an der Einstichstelle ab, da durchflutete ein wattiges Gefühl ihren ganzen Körper und sie war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob sie Angst hatte oder nicht. Die starken Arme unter ihren Knien und im Genick nahm sie nur noch am Rande wahr, sie fühlte, dass sie aus dem Bett gehoben wurde. Jetzt konnte sie den Kopf wieder bewegen und konnte vielleicht sehen, wer sie da forttragen wollte. Sie strengte sich an, doch es war sinnlos, ihre Augen waren wie zugeschweißt. Gesas Gedanken verloren den Faden, Okka war da … festhalten … es ist so kalt … ich bin so müde.
9.
Die Ärztin legte kurz den Kopf schräg und machte ein tantenhaftes Gesicht, welches die Eindringlichkeit ihrer Worte verstärken sollte. «Wenn Sie uns wirklich schon verlassen möchten, dann geht das aber nur auf eigene Verantwortung. Ich halte es für viel zu früh, Frau Leverenz, eigentlich sollten Sie noch mindestens drei Tage …»
«Drei gehen auf gar keinen Fall!», unterbrach ich sie. «Auch nicht zwei Tage oder einer. Ich werde heute nach Hause gehen.» Ich versuchte, überzeugend kraftvoll aus dem Bett zu steigen, doch es misslang mir ziemlich. Meine Beine waren noch immer weich wie Pudding und als meine Hosenbeine hochrutschten, konnte man die hässlichen Schürfwunden und dunkelblauen Prellungen sehen, die sich jetzt schmerzhaft bemerkbar machten. «Es geht doch super, sehen Sie?», presste ich zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Assistenzarzt schüttelte tadelnd den Kopf und die Ärztin zog skeptisch die Augenbrauen nach oben. «Wie gesagt, Frau Leverenz, wir halten gar nichts davon. Doch wir können Sie auch nicht gegen Ihren Willen hier behalten.» Sie seufzte, denn ich war noch während ihrer Worte zu meiner bereits gepackten Tasche gegangen, in der das Sommerkleid zusammengerollt war. «Aber Sie müssen mir versprechen, dass Sie sich schonen, ja? Keine hektischen Bewegungen, kein Stress, am besten wäre es, wenn Sie sich zu Hause direkt wieder hinlegen. Haben Sie jemanden, der sich um Sie kümmert?»
«Hat sie», sagte mein Vater, der sich in die Ecke beim Waschbecken verzogen hatte, als die Visite ins Zimmer kam. «Ich werde meiner Tochter ein guter Krankenpfleger sein, versprochen!»
Die Ärztin zögerte kurz, schaute mit sorgenvoller Miene von meinem Vater zu mir, dann wandte sie sich an ihren Assistenten. «Also gut, machen Sie die Papiere klar. Frau Leverenz verlässt die Klinik auf eigenen Wunsch, entgegen dem Anraten der Ärzte und so weiter und so weiter.» Sie reichte mir die Hand und nickte. «Na dann, alles Gute. Und wenn Ihnen irgendwie unwohl sein sollte, dann …»
«Ja, ja, ich weiß, dann suche ich sofort einen Arzt auf, ich habe verstanden.»
Mein Vater hatte seinen alten, klapprigen Polo auf dem Parkplatz vor der Klinik geparkt, er hielt mir die Tür auf, er trug meine Tasche, er half mir in den Wagen. Und als wir ein paar Meter gefahren waren, fiel mir auf, dass er in die falsche Richtung fuhr. Er wollte zu unserer Wohnung über dem Friseursalon, wie selbstverständlich lenkte er den Wagen dorthin. Das machte mich wütend.
«Bitte fahre mich nach Hause», sagte ich mit Nachdruck.
Er blickte mich kurz und traurig von der Seite an. «Wenn du es schon nicht mehr als dein Zuhause ansiehst, dann verbring bitte so etwas Ähnliches wie einen Urlaub in unseren alten vier Wänden. Du sollst es nicht übertreiben und …»
«Du fährst doch sowieso bald wieder sonst wohin. Ist es nicht so?»
Er kratzte sich mit einer schuldbewussten Geste am Kopf. «Na ja, eigentlich müsste ich morgen schon nach Spitzbergen, eine spannende Reportage, aber wenn ich es mir so recht überlege …»
«Willst du hier bleiben?»
«Ja, Okka, ich denke ernsthaft darüber nach», sagte er, fuhr den Wagen an die rechte Seite auf eine freie Bushaltestelle amMarktplatz und stellte den Motor ab. «Den Job kann auch ein anderer machen. Ich denke, du brauchst mich jetzt dringender als die Leute in Spitzbergen!»
Ich konnte das Ausrufungszeichen hinter dem letzten Wort förmlich hören. «Papa, wenn du meinst, ich leg mich zu Hause auf die Couch, dann hast du dich getäuscht!»
Hinter uns hupte ein Bus, ich konnte im
Weitere Kostenlose Bücher