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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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Sie, es gab Momente, da habe ich ihn tatsächlich gehasst. Aber im Grunde meines Herzens habe ich ihn doch geliebt, immer. Ich hätte ihm nie etwas antun können, und wenn, dann hätte ich es anders gemacht.«
    »Wie denn?«, wollte Heiko wissen.
    Die Frau zog die dünnen Augenbrauen hoch. Der Spatz drehte sich um, flatterte kurz mit den Flügeln und verschwand dann aus Lisas Blickfeld. »Denken Sie, ich würde mich aus dem Hinterhalt auf ihn stürzen und ihn erwürgen?«
    »Erdrosseln«, korrigierte Heiko.
    »Bitte. Erdrosseln. Können Sie sich das vorstellen?«
    »Nein«, gab Heiko zu, »aber man kann sich bei den wenigsten Menschen so etwas vorstellen. Und trotzdem gibt es solche Dinge.« Die Frau betrachtete ihre Hände, die schmal und von erhabenen Adern gezeichnet waren. »Ich wäre rein körperlich überhaupt nicht in der Lage dazu.« Da musste Heiko ihr allerdings zustimmen. Trotzdem, es konnte ein Auftragsmord sein. »Sie müssen den Mord ja nicht selbst ausgeführt haben«, gab der Kommissar deshalb zu bedenken. Nun schnaubte die kleine Gestalt im Bett verächtlich. »Ja, ich habe sicherlich einen Auftragskiller angeheuert. Ich kenne ja auch so viele davon.« Es entstand eine etwas peinliche Pause, in der sich Lisa durch die Haare fuhr und Heiko sich nervös räusperte. »Aber wissen Sie, wer einige davon kennen dürfte?«, fuhr die Frau schließlich fort. »Die Irina. Die kennt solche Leute bestimmt.«
    »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Ich bin mal mit dem Fahrrad vorbeigefahren. Und da ist grad so einer da gestanden. Ein ganz komischer Typ, hat irgendwie gefährlich ausgesehen.« Heiko horchte auf. Das war ja interessant. »Könnten Sie den ein bisschen näher beschreiben?« Wieder schloss die Frau die Augen und schien angestrengt nachzudenken, als müsse sie ein Bild vor ihrem geistigen Auge formen. »Groß, athletisch. Schwarze Lederjacke. Ein Muskelmann, wenn Sie so wollen. Hellblondes Haar, blasser Typ. Russe, ganz eindeutig. Hätte auch rein optisch eher zur Irina gepasst als Walter. Vielleicht hatte sie ja was mit ihm, wer weiß. Die Russinnen sind ja ganz offenbar käuflich.« Lisa reagierte nicht auf die letzte Bemerkung, die wohl reiner Bitterkeit der Frau entsprungen war. Gegen eine 20-jährige hübsche Russin konnte man als Mittfünfzigerin nur verlieren. Klar, dass das bitter war. Aber statt sich eine Wut auf Walter Siegler zuzulegen, hatte die Frau ganz offenbar einen Hass auf die junge Frau entwickelt. Durchaus verständlich, denn die Liebe verzieh fast alles. »Haben Sie denn noch eine Idee, wer mit dem Mord zu tun haben könnte?«, forschte Heiko. Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein. Der Walter war ein so guter Mensch.« Die Kommissare tauschten einen zweifelnden Blick. Momentan hatten sie eher einen anderen Eindruck vom Mordopfer.
    »Gut, wenn Ihnen noch was einfällt, dann melden Sie sich doch bitte bei uns, ja?«

    Inzwischen saß der blonde junge Mann, von dessen Existenz die Kommissare eben erst erfahren hatten, allein in seiner Wohnung, vor dem Fernseher wie meistens. Er hätte nicht einmal sagen können, was lief, denn er hing, wie so oft, seinen Gedanken nach. Er war jetzt seit vier Jahren in Deutschland, fast so lange wie Irina. Vier Jahre, und damals, in seiner Heimat, war es ihm wie das Gelobte Land erschienen. Mittlerweile war er aber desillusioniert. Sicher, Deutschland war toll, und man lebte hier besser als in der Heimat, wo die Freiheit ein seltenes Gut war und die Arbeitslosigkeit und die Armut ins Unermessliche stiegen. Trotzdem hatte Deutschland seine Tücken. Er lebte von Gelegenheitsjobs, denn gemeldet war er nicht. Das hätte auch kaum funktioniert. Wichtig war nur, dass es Irina gut ging, denn sie war sein Ein und Alles. Sie war klug und hübsch und hatte den alten Sack nur aus Verzweiflung geheiratet, aus der Erkenntnis heraus, dass sie anderweitig keine Perspektive haben würden, im fernen Russland. Genauso wenig wollte sie sich nämlich auf einen der Männer einlassen, die meist mittellos waren und noch öfter wie die Löcher soffen. Und sie hatte ja ihn. Er, Alexander, war immer ihr Rückhalt gewesen und hatte damals ihre Entscheidung verstanden und respektiert. Sicher, zuerst nicht. Zuerst hatte er getobt. Hatte sich ein besseres Leben für seine Irina gewünscht. Und dann aber doch einsehen müssen, dass es so das Beste war, für sie und vielleicht auch für ihn. Und nach einer Weile war er einfach nachgekommen, über Polen – die Grenzen nach Deutschland

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