Fischerkönig
schnell, dass er es nicht dabeihatte. Zum Einkaufen hatte er es nicht mitgenommen, und seither war er auch nicht mehr daheim gewesen. »Ihre Fahrkarte bitte«, wiederholte der eine, ein Älterer mit Vollbart. »Kann man die auch im Zug kaufen?«, fragte Alexander und versuchte einen verzweifelten Blick mit dem Anflug eines Lächelns. Aber die beiden hatten schon Lunte gerochen. Der eine zückte ein schwarzes Kästchen, während der andere ihm den Weg versperrte und die Arme resolut vor dem Körper verschränkte. »Ihren Ausweis bitte«, meinte nun der Jüngere, ganz so, als sei er kein Mensch, sondern lediglich eine Maschine, die die immer gleichen Sätze wiederholt, immer immer immer, vielleicht mit leichten Abwandlungen. Alexander blinzelte und wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste es immer noch nicht, als der Schaffner »Sofort!« zischte und sein Befehl einen drohenden Unterton annahm. »Ich habe keinen Ausweis«, gab Alexander zu. Die beiden warfen sich einen Blick zu. Und dann zückte der Ältere ein Handy und wählte eine Nummer.
Heiko leinte Sita an und dachte an das Bad im See. Schön war es gewesen, kühl und erfrischend. Zwar war der Degenbachsee nicht unbedingt klar wie Quellwasser, aber er mochte den leichten Seewassergeruch, und die grünliche Färbung, die wohl von einigen Algen herrührte, machte ihm nichts aus. Er war tief untergetaucht und hatte sogar mit Lisa einen wilden Tunk-Wettkampf angefangen. Sie hatte sich kreischend und lachend gewehrt und panisch um sich geschlagen, und so hatte er sie nur einmal ganz kurz getaucht. Als sie halb beleidigt wieder hochgekommen war, hatte er sie liebevoll umarmt, ihr eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen und sie geküsst wie schon lange nicht mehr. Er liebte sie über alles. Er liebte sie so, wie er noch nie eine Frau geliebt hatte. Nie im Leben war er so glücklich gewesen.
»Komm, Hund«, sagte er und verließ mit Sita die Auffahrt seines Wohnblocks. Vielleicht wurde es Zeit, dass sie zusammenziehen sollten. Auch, wenn das sicherlich ein Problem gäbe mit all den Tieren, denn Sita und Garfield hatten sich noch nie getroffen, ganz zu schweigen davon, dass Alfred in diesem Trio auch seine Berechtigung hatte. Die Tiere die ganze Zeit auseinanderzusperren war genauso unrealistisch, wie sich von einem von ihnen zu trennen, denn alle Beteiligten liebten sich untereinander abgöttisch. Heiko sah hoch zum Himmel, an dem einige Schleierwolken rot im Sonnenuntergang glühten. Schön war es in Hohenlohe, er war froh, hierherzugehören und dass Lisa auch hier war. Es war ganz still, sah man vom euphorischen Vogelzwitschern und dem Geräusch, das Sitas tapsende Pfoten auf dem Asphalt verursachten, ab. So konnte er am besten nachdenken. Und er versuchte, den Faden von vorhin wieder aufzunehmen. Dass Irina die Sache mit Sackler jetzt erst eingefallen war, das konnte immerhin sein. Trotzdem, etwas stimmte nicht, etwas anderes. Sackler war nicht im Fischereiverein. Auch okay, war ja keine Bedingung für den Mörder. Sita zerrte plötzlich an der Leine und bellte energisch, als die Schafe auf einer kleinen Weide neben einer Firma in Sichtweite kamen. Firmenschafe sozusagen. Ein kurzer Ruck an der Leine genügte, um den Hund zur Raison zu bringen. Etwas stimmte nicht. Etwas war falsch. Was, was war es? Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Frage hatte zu lauten: Wie hätte Sackler an den Anhänger kommen sollen?
Donnerstag, 14. August 2014
Die Glocken der kleinen Kapelle auf dem Goldbacher Friedhof läuteten, und im Dorf wunderten sich die Leute, warum. Denn Irina hatte die Beerdigung nicht publik gemacht, das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte, war das gesamte Dorf als Kollektiv, das ihr kondolierte und sie insgeheim wahrscheinlich doch für die Mörderin hielt. Sie hatte es nur Agnes gesagt, ihrer verhassten Schwägerin, und die stierte sie jetzt mit hasserfüllten Blicken an. Agnes Morgner trug ein Kostüm, das in der sengenden Hitze viel zu warm sein musste, aber ihre Rundungen großzügig verbarg. Irina selbst starrte mit einer Mischung aus Unglauben, pflichtschuldiger Trauer, aber auch einer großen Portion Erleichterung auf die Urne, die soeben von einem städtischen Beamten ins Grab gesenkt wurde. Walter war evangelisch gewesen, allerdings nur auf dem Papier und mehr, damit ihn niemand für unmoralisch hielt. Mit Gott und der Kirche hatte er nichts am Hut gehabt, nicht das Geringste. Aber als Ortsvorsteher aus der Kirche
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