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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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alles sinnlos geworden. Und schuld daran hatte nur eine einzige Person. »Herein«, sagte sie und erschrak, wie leise ihre eigene Stimme war. Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge und räusperte sich mehrfach. Die Tür ging auf, und das Erste, was sie sah, war ein riesiger zartrosafarbener Blumenstrauß. Walter, dachte sie zuerst, mein Walter ist zurück. Dann wurde ihr klar, dass das nicht sein konnte, ihr Walter würde nicht zurückkommen, niemals. Stattdessen erschien hinter dem Blumenstrauß der Kopf ihrer Freundin Agnes. »Oh, Lilli, wie konntest du nur!«, entfuhr es ihr, aber eine Sekunde später legte sie den Blumenstrauß achtlos beiseite und drückte ihre Freundin so sehr, dass der fast die Luft wegblieb. »Du hättest mich allein gelassen?«, fuhr sie fort, und ihr Ton wurde vorwurfsvoll und gleichzeitig ungläubig und verzweifelt. In Lilli Hegenbach stiegen die Tränen hoch. »Daran hab ich nicht gedacht«, meinte sie. »Ich hab nur an den Walter gedacht, und dass wir nie wieder zusammen sein können, nie wieder …« Ein leises Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, und minutenlang hielten die Freundinnen einander einfach nur fest. Dann lösten sie sich voneinander und sahen sich an. Schließlich lächelte Agnes Morgner aufmunternd und murmelte, sie würde eine Vase holen. Kurze Zeit später kehrte sie aus dem Schwesternzimmer zurück und drapierte den Blumenstrauß in eine wunderschöne blaugrüne Vase. »Wie geht es dir?«
    Lilli schluckte. »Naja, ganz gut. Die Ärzte sagen aber, ich muss nach Weinsberg zur Untersuchung.« Agnes stutzte, nickte dann aber. »Das ist sicher eine Formalität?«, vermutete sie. Lilli stimmte zu. »Das machen sie so, wenn sich jemand … nun ja.«
    Agnes sah aus dem Fenster. »Du willst aber nicht mehr …, also ich meine, du wirst nicht mehr versuchen, zu …?« Lilli schüttelte heftig den Kopf. Sie hatte hier noch etwas zu erledigen. Mindestens eine Sache. »Ein Gutes hat das alles«, stellte die Morgnerin trocken fest. »Du brauchst jetzt nicht mehr auf ihn zu warten. Du kannst dich neu verlieben.« Lilli lächelte dünn. Sie wusste, dass ihre Freundin es gut meinte. »Ist das dein Ernst? Ich bin jetzt 54.«
    »Ist doch egal«, hielt Agnes dagegen. »Eine neue Liebe gibt es in jedem Alter.« Aber nicht eine solche Liebe, dachte sich Lilli, eine solche niemals. Trotzdem nickte sie und sagte: »Wer weiß.« Für einen Moment schwiegen beide und sahen zum Fenster hinaus, wo sich die Baumkronen sanft im Sommerwind wiegten. »Wann wird er beerdigt?«, fragte Lilli schließlich in die Stille hinein. Agnes schloss kurz die Augen. »Er ist schon unter der Erde. Die Russin hat es keinem gesagt. Nur sie und ich und die Kleine waren da, stell dir vor.«
    »Schuld ist nur sie«, meinte Lilli dann tonlos. Agnes stutzte einen Moment, dann sagte sie: »Ja. Schuld ist nur sie.« Wieder fuhr sich Lilli Hegenbach mit der Zunge über die Lippen. Dann flüsterte sie: »Wir müssen sie bestrafen.«
    »Ja, da hast du recht. Das müssen wir. Mach dir keine Gedanken, mir fällt schon etwas ein.«

    Agnes Morgner hatte ein schönes Bild von Irina gefunden. Eines aus dem Familienalbum. Sie hatte damals nicht verstanden, warum der Walter sich die Irina geholt hatte. Und fast hatte sie ein schlechtes Gewissen, dass sie der Lilli immer geraten hatte, auf ihn zu warten. Aber wie hätte sie denn ahnen können, dass der Walter so ein durchtriebener Sack war und dass er so gar nichts mehr für seine ehemalige Verlobte übrighatte! Dass er es bevorzugte, sich mit einer wildfremden Russin zu paaren statt mit einer anständigen Hohenloherin. Und Irina! Diese dahergelaufene Schlampe hatte auf seine Kosten gelebt. Hatte ihm baldmöglichst ein Kind raufgehängt, damit er für immer und ewig an sie gebunden war. Schlau war das, schlau. Und natürlich bleibt der Kuckuck im Nest und verlässt es nicht mehr, und so hatte sich das Luder wunderbar eingerichtet. Aber die würde sich noch verkucken, denn Agnes Morgner hatte eine ganz hervorragende Idee. Sie würde die Wahrheit ans Licht bringen. Sie müsste nur ein klein bisschen nachhelfen. Sorgfältig beschnitt sie das Foto, sodass es nur noch Irina zeigte. Sie achtete darauf, Walter nicht in die Augen zu schauen, der ebenfalls auf dem Foto verewigt war und sie tadelnd anblickte. Das Haus ging die Russin überhaupt nichts an, nicht das Geringste. Das hatte sich der Walter erarbeitet, all die Jahre. Und den Mercedes hatte er sich mit dem Geld vom Verkauf

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