Fischland Mord - Küsten-Krimi
leid.«
»Ich kann mir beinah nichts vorstellen, was mein
Mitleid für ihn erregen würde.«
»Nur beinah nichts?« Jonas lachte.
Von Sven Larsen um das Ersparte gebracht zu werden, war sicher keine
Freude gewesen. Was das betraf, tat ihr Jung tatsächlich leid. »Jeder hat seine
wunden Punkte und Verletzlichkeiten. Herr Jung macht da sicher keine Ausnahme.«
»Du bist nicht sehr neugierig, oder?«
»Geht so«, sagte Kassandra unbestimmt. Außerdem habe
ich kaum das Recht, etwas über andere wissen zu wollen, wenn ich selbst
so wenig von mir preisgebe, fügte sie im Stillen hinzu.
Prüfend schaute Jonas sie eine Weile an. »Du fragst
jedenfalls nicht, was mein Bedauern über seine damalige
Niederlage erregt hat.«
»Das ist seine Sache und deine.« Kassandra vermutete stark, dass
Jonas und sie an dasselbe dachten, und darüber wollte sie keinesfalls sprechen.
»Wie edel«, stellte Jonas spöttisch fest.
Violetta hatte recht, der Mann sah auf eine unaufdringliche Art gut
aus. Er wirkte jünger als er wahrscheinlich war, sie schätzte ihn auf Ende dreißig. Seine hellbraunen Haare schienen ständig ungekämmt
zu sein, was gut zu den lässigen blauen Hemden oder T-Shirts passte, die er
trug – und die wiederum zu seinen Augen. Kassandra stand auf und sah woanders
hin. So weit kam das noch! Sie hatte genug Probleme am Hacken, da musste ihr
nicht zusätzlich der Nachbar im Kopf rumschwirren. Andererseits wäre
er vielleicht einer von denen, auf die man sich verlassen könnte,
wenn es mit der Polizei hart auf hart käme.
»So bin ich eben«, antwortete sie leichthin und lächelte.
»Entschuldige mich bitte, ich muss noch ein Frühstück machen.«
»Klar.«
Sie war schon fast wieder im Haus, als er ihr
nachrief. Sie wandte sich um und schaute in sein vollkommen
ernstes Gesicht.
»Du hast hoffentlich wirklich keine Probleme?«, fragte er.
Den Bruchteil einer Sekunde war sie versucht, ihm von Dietrich zu erzählen. Doch sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wirklich nicht.«
Am Nachmittag fuhr Kassandra nach Ribnitz. Sie mochte
die kleine Stadt, deren Kirchturmspitze man in weiter Ferne sehen
konnte, wenn man am Fischländer Hafen stand und über den Bodden schaute. Heute
hatte sie allerdings wenig Sinn für einen Bummel über den
Marktplatz oder für einen Besuch des Bernsteinmuseums. Sie war
nicht zum Vergnügen hier.
Wäre vor der alten Villa nicht das auffällige Schild angebracht
gewesen, hätte sie sie nie mit einem Polizeirevier in Verbindung gebracht. Glücklicherweise war ihre Aussage unproblematisch, und
das Protokoll nahm wenig Zeit in Anspruch. Die Kollegen von Menning
und Dietrich, die Amtshilfe leisteten, damit Kassandra nicht den ganzen Weg
nach Anklam fahren musste, waren freundlich.
Zurück in Wustrow erledigte sie ihre Einkäufe und spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Sie wurde anders angesehen als sonst.
War das normale Neugier, weil ein Toter in ihrer Pension gefunden worden
war? Oder waren die Blicke skeptischer, misstrauischer? Kassandra
bemühte sich, überall gleichbleibend verbindlich zu sein und das Interesse an
ihr zu ignorieren. Aber als sie im Blumenladen von einer wartenden Kundin
ungeniert angestiert wurde und danach mitbekam, wie die mit der Floristin die
Köpfe zusammensteckte, wandte sie sich resigniert zum Gehen.
Am Abend beschloss sie, trotz des traumhaften Wetters auf einen Strandspaziergang zu verzichten. Sie hatte keine Lust mehr auf Menschen.
Stattdessen setzte sie sich vor den Fernseher und legte eine DVD ein, um sich von einigen alten Folgen von »Das
Krankenhaus am Rande der Stadt« berieseln zu lassen. Nach der dritten Episode
ging sie in den Keller, auf der Suche nach einer Flasche Wein. Sie würde es
sich so richtig gemütlich machen. Alle Morde dieser Welt sollten ihr gestohlen
bleiben, und die Polizei gleich mit.
Schon auf der Kellertreppe nahm sie den feuchten
Geruch wahr, dann sah sie die Bescherung: Der Boden stand einen
Zentimeter hoch unter Wasser. Fluchend holte sie ihre Gummistiefel, stapfte
durch das Wasser und entdeckte in der hintersten Ecke des Kellers das schadhafte Rohr, aus dem weiteres Wasser hervorquoll. Sie flitzte
zum Haupthahn, um es abzudrehen, und sagte ihren Gästen Bescheid. Als sie
zurück in den Keller kam, war der Pegel nicht gesunken, das bedeutete
zusätzlich einen verstopften Abfluss. Na, toll. Kassandra sah auf die Uhr. Es
war halb elf durch, viel zu spät, um einen Klempner zu rufen, was hieß, dass
ihre Gäste auch morgen
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