Fischland Mord - Küsten-Krimi
früh kein Wasser haben würden. Was sollte sie in der
Zwischenzeit mit dem Keller machen? Dummerweise hatte sie keine
Pumpe, und Jonas, der möglicherweise eine besaß, war, wie sie eine Minute
später feststellte, leider nicht zu Hause. Normalerweise fragte man in so einem
Fall den zweiten Nachbarn, doch der würde ihr höchstens
noch einen Eimer Wasser dazuschütten. Andererseits konnte sie das
hier unten nicht lassen, wie es war. Sie musste ihren Stolz überwinden.
»Sie?« Heinz Jung verschränkte die Arme vor der Brust. »Was
verschafft mir denn die Ehre, und das um diese Zeit?«
Da sie heute wirklich nicht sehr nett zu Jung gewesen war, durfte
Kassandra ihm diese Reaktion wohl nicht übel nehmen. »Bitte entschuldigen Sie
die späte Störung, aber leider hab ich nun tatsächlich
ein Problem. In meinem Keller ist ein Rohr gebrochen, und mir
fehlt eine Pumpe für das Wasser. Könnten Sie mir …«
»… aushelfen?«, beendete Jung den Satz und musterte sie
eindringlich, als wollte er abwägen, ob er ihr den Gefallen tun sollte oder
nicht. »Moment.« Er schloss die Tür und ließ sie draußen stehen, aber offenbar
hatte er zu ihren Gunsten entschieden. Kassandra atmete erleichtert auf.
Während sie auf seine Rückkehr wartete, legte sie den Kopf in den Nacken und
betrachtete den Mond am immer dunkler werdenden Himmel. Bald würde man
unendlich viele Sterne sehen können, ein grandioses Schauspiel, das sie liebte.
Da stand Jung plötzlich wieder vor ihr und hielt ihr Pumpe und Schlauch hin.
»Wissen Sie, wie man damit umgeht?«
Unsicher schaute Kassandra auf das Gerät. »Nein, aber …«
»Dann finden Sie’s raus.« Damit schlug er ihr erneut
die Tür vor der Nase zu.
Beinah hätte Kassandra aufgelacht. War das Heinz Jungs Art von Humor
gewesen? Immerhin hatte er ihr die Pumpe überlassen, und die
anzuschließen, konnte nicht überwältigend kompliziert sein.
»Was machst du denn mitten in der Nacht beim Jung?«
Kassandra, die immer noch in Jungs Hauseingang stand, drehte sich um
und sah Jonas auf dem Bürgersteig stehen.
»Der Polizeihauptmeister und ich hatten ein konspiratives Treffen,
um Thuns Mörder noch vor den Beamten aus Anklam zu fassen, aber verrat’s bitte
niemandem.«
»Und dazu brauchtet ihr eine Wasserpumpe?« Jonas deutete erheitert
auf das Gerät in Kassandras Händen.
»Na ja, jemand hat Thun im Bodden ertränkt, wir haben
das nachgestellt, und anschließend musste natürlich das Wasser
wieder abgepumpt werden.«
Jonas lachte. »Klar. Hätte ich drauf kommen können.«
Wie selbstverständlich nahm er Kassandra die
Pumpe ab. »Rohrbruch im Keller? Ich bin überrascht, dass Jung das
Ding rausgerückt hat, ausgerechnet für dich. Wer weiß, vielleicht
schlummert doch ein weicher Kern in der harten Schale?«
»Nicht weich genug, um mir zu erklären, wie man es bedient«, gab Kassandra zurück und wurde sich gleichzeitig bewusst, dass Jonas
das als Bitte auffassen könnte, ihr zu helfen.
»Wie hoch steht denn das Wasser? Knie- oder knöchelhoch?«
»Letzteres. Das reicht mir gerade.«
Ohne auf ihr Einverständnis zu warten, marschierte Jonas um
Kassandras Haus herum und die Kellertreppe hinunter. Dankbar öffnete sie die
Kellertür und sah zu, wie er die Pumpe anschloss, ohne dabei
Rücksicht auf seine Schuhe und seine Jeans zu nehmen.
»Wann kommt der Klempner?«, fragte er.
»Der Klempner? Es ist elf Uhr.«
Jonas, der auf nassem Boden in die Hocke gegangen war, sah zu ihr
auf. »Es gibt einen Vierundzwanzig-Stunden-Notdienst. Den würde ich
schnellstens rufen, wenn du willst, dass deine Gäste morgen
duschen und mit Kaffee und Ei frühstücken können.«
Den Notdienst. »Oh.« Kassandra schloss flüchtig die
Augen. »Warum hab ich daran nicht gedacht?«
Jonas hielt in seiner Arbeit inne, stand auf und trat zu ihr.
»Kassandra. Die letzten beiden Tage waren ziemlich heftig für dich.« Er hob eine nasse Hand und berührte ihre Wange. »Diese kleine Überschwemmung
ist so gut wie erledigt. Und was Thun betrifft: Die Polizei findet raus, wer er
war, was er wollte und warum er ermordet wurde, und bald geht wieder alles
seinen normalen Gang.«
Jonas’ Mitgefühl und Zuspruch taten Kassandra gut, und einen Augenblick lang wollte sie ihm in einer ähnlichen Anwandlung wie
schon einige Stunden zuvor erzählen, dass die Polizei sie ganz
oben auf der Liste der Verdächtigten stehen hatte. Da das jedoch
mit einer Erklärung zu ihrer Vergangenheit verbunden wäre, schwieg sie.
Weitere Kostenlose Bücher