Fischland Mord - Küsten-Krimi
niedergetrampelt.
Dank des heftigen nächtlichen Regenschauers waren keinerlei Spuren vom
Übeltäter mehr zu sehen. Derjenige musste demnach vor halb vier Uhr morgens
gekommen sein, denn da war Kassandra von den dicken Tropfen, die gegen ihr
Fenster prasselten, aufgewacht. Dann erst registrierte sie, dass der Mohn vor
dem halb geöffneten Fenster von Herrn Thun gestanden hatte. Vielleicht hatte er
etwas gehört oder gesehen? Sie betrachtete das Fenster genauer. Da hing ein
kleiner Stofffetzen, der dort nicht hingehörte. Kassandra trat näher. Sollte
gar Herr Thun selbst durch das Fenster ins Haus eingestiegen sein, weil er den
Haustürschlüssel vergessen hatte? Vorsichtig drückte sie die Fensterflügel nach
innen auf. Sie konnte das Fußende des Bettes sehen und darauf schmutzige Schuhe
und Hosenbeine. Irgendwas stimmte da nicht.
Kassandra war zurück ins Haus gegangen, hatte an Herrn Thuns Tür
geklopft, mehrmals, und als er sich nicht meldete, hatte sie sie geöffnet. Und
nun saß sie in ihrer Küche und wartete auf die Polizei.
Bis es eine Viertelstunde später schließlich an der Haustür
klingelte, gingen Kassandra eine ganze Menge Dinge durch den Kopf, unter
anderem die Tatsache, dass sie es, wenn Herr Thun keines natürlichen Todes
gestorben sein sollte, mit einer Mordermittlung zu tun bekäme. Das würde
wahrscheinlich auch zu ihrer Person einiges ans Tageslicht bringen – was sie
lieber vermieden hätte.
Eine Polizistin und ein Polizist standen vor Kassandras Tür, der
Streifenwagen parkte auf der Straße. Der junge Mann, den sie schon das eine
oder andere Mal in Wustrow gesehen hatte, tippte sich grüßend an die Mütze.
»Polizeimeister Löber, guten Tag. Frau Voß? Sie haben einen Toten in Ihrem
Haus?«
Kassandra nickte und ließ die beiden eintreten. »Er hat das
Gästezimmer im Erdgeschoß gemietet. Als ich Herrn Thun nach dem zertrampelten
Mohn vor seinem Fenster fragen wollte, hab ich ihn gefunden.«
Löber hob die Brauen, kommentierte ihre Bemerkung mit den Blumen
aber nicht. Stattdessen bat er sie, ihn und seine Kollegin zu der Leiche zu
führen. Kassandra ging voran und hielt den beiden die Tür auf. Sie sah, wie
Löber mit den Augen das Zimmer absuchte, wobei sein Blick an dem kleinen braun
melierten Stofffetzen hängen blieb, der keinesfalls vom grauen Anzug des Toten
stammte. Während die Polizistin sich über die Leiche beugte, sah Löber zum
Fenster hinaus. Beim Anblick des Mohns murmelte er verstehend einige Worte,
dann trat er zu seiner Kollegin und beratschlagte sich kurz mit ihr.
Schließlich wandte er sich an Kassandra.
»Das könnte allen Umständen zum Trotz ein natürlicher Todesfall
sein, aber ehrlich gesagt ist das sehr unwahrscheinlich. Wir benachrichtigen
die zuständige Kriminalpolizeiinspektion in Anklam, von dort aus wird man sich
um alles Weitere kümmern.«
»Anklam? Das ist ganz schön weit weg«, sagte Kassandra. »Kommt da
niemand aus Stralsund, das wäre doch viel näher.«
Löber zuckte mit den Schultern. »Umstrukturierung der Landespolizei,
die KPI sitzt jetzt in Anklam. Einige Kollegen,
die nach dort versetzt wurden, nehmen allerdings den langen Arbeitsweg auf sich
und wohnen lieber weiter in Stralsund.« Er schaute wieder auf den Toten. »Wir
müssen Sie bitten, den Raum nicht mehr zu betreten, bis die Beamten
eintreffen.«
»Natürlich. Ich bin ohnehin nicht besonders wild darauf, den armen
Mann noch länger da liegen zu sehen.«
Dankbarerweise ließen die Polizisten Kassandra nicht allein, sondern
tranken mit ihr Kaffee, bis das Haus vor Menschen wimmelte. Ein Arzt kam
zuerst. Es war Kassandra nicht ganz klar, ob er Rechtsmediziner war, wie man
das aus dem Fernsehen kannte, oder einfach jemand, der den Tod von Herrn Thun
bescheinigen sollte. Danach erschienen Leute von der Spurensicherung und
schließlich zwei Beamte in Zivil, die sich als Kriminalhauptkommissar Menning
und Kriminalkommissar Dietrich vorstellten. Obwohl Menning ab und zu den Blick
nach innen zu richten schien, zweifelte Kassandra nicht daran, dass er jedes
ihrer Worte hörte. Er war Ende vierzig, ein paar Jahre älter als Dietrich, und
schlug vor, sich an einen ruhigeren Ort zurückzuziehen, um noch einige Fragen
zu klären. Sie führte die Herren in die Küche, die sie in einer Mischung aus
Landhausstil und klaren Linien eingerichtet hatte.
»Wann ist Herr Thun denn angereist?«, wollte Menning wissen, sobald
sie am Tisch Platz genommen hatten.
»Vor vier Tagen. Ich habe seinen
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