Fischland Mord - Küsten-Krimi
überzeugt von dem, was sie macht,
und sie lässt sich von niemandem reinreden. So kam es jedenfalls rüber, als
jemand eine ihrer Plastiken kritisierte. Sie hat sehr deutlich gemacht, warum
sie sie so und nicht anders gestaltet hat.«
»Dabei reden die Leute immer davon, dass Künstler bei
jeder Art von Kritik einen Nervenzusammenbruch kriegen.«
»Nicht Tina Bodenstedt. Sie hat nur bei einem Thema kurz ihre
Contenance verloren.« Paul machte eine dramatische Pause.
»Arnold Kesting.«
Er nickte. »Mein Tipp ist, dass die mal was miteinander hatten.«
»Arnold bestreitet das.«
»Du hast ihn danach gefragt? Gratuliere, du bist weiter gekommen, als ich für möglich gehalten hätte. Ihr müsst ja schon ziemlich
ans Eingemachte gegangen sein.«
Kassandra zuckte mit den Schultern. »Er wollte was über Sven wissen,
da hab ich die Gelegenheit beim Schopf ergriffen.«
»Glaubst du ihm?«
»Schwer zu sagen.« Sie rief sich die Szene in
Erinnerung. Er hatte nicht sofort geantwortet, aber das konnte
auch an seiner Verblüffung gelegen haben. »Meinst du, du könntest was
darüber rauskriegen?«
»Ich? Wie das denn?« Dann begriff er. »Über Tina Bodenstedt? Ich
weiß wirklich nicht, ob sie sich so viel von mir verspricht, dass sie bereit
wäre, sich mit mir zu treffen. Aber gut, ich kann es versuchen. Immerhin hab
ich ihre Telefonnummer.«
»Ach?« Kassandra griente.
Paul überging die Anspielung und wechselte stattdessen
das Thema. »Ich hab vorhin übrigens mit Jonas gesprochen.«
»Da ist dir mehr gelungen als mir. War er überhaupt mal
zu Hause?«
»Er kann sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass du dich mit
sensiblen Künstlern triffst, besonders mit solchen, die er nicht mag und die
man für potenziell gefährlich halten kann. Deshalb hat er bei
dieser Detektei angerufen, die Kind kontaktiert hatte, und denen den Auftrag erteilt, Informationen über Kesting zu sammeln.«
Paul stand auf. »Er findet das sicherer, und ich nehme an, er hofft, dass du
deine Recherchen aufgibst, sobald die mit Informationen rüberrücken.«
»Bist du deshalb hier? Solltest du mir das sagen? Ich meine, was du mir über Tina Bodenstedt erzählt hast, hätte theoretisch bis morgen
warten können.«
Paul schüttelte langsam den Kopf. »Jonas hat keine Ahnung, dass ich
hier bin. Und die Bodenstedt hätte sogar bis übermorgen Zeit gehabt, aber da
ich schon mal hier war, dachte ich, ich warte auf dich. Natürlich hätte ich
auch beschließen können, dich später anzurufen, als ich sah, dass
du … beschäftigt warst. Oder ich hätte …«
»Paul?«
»Ja?«
»Danke.«
»Wofür?« Pauls Gesicht war eine einzige Unschuldsmiene.
»Ich weiß zwar nicht, wie du das machst, aber du hast genau bemerkt,
dass ich selbst Zweifel hatte in Bezug auf meine … Recherchemethoden. Das
stimmt doch, oder?«
»Wie ich das mache, ist kein Geheimnis. Alles eine Frage der
Ausbildung. Ein Oberstleutnant kann gut beobachten, auch wenn er nicht mehr im
Dienst ist.« Dabei salutierte er in ihre Richtung, und bevor sie überhaupt zu
einem Einwand Luft holen konnte, hatte er das Haus durch die Terrassentür
verlassen.
Kassandra sah seine Gestalt ins Dunkel der Nacht eintauchen. Dieser Mann gab ihr eine Menge mehr Rätsel auf als Jonas und Arnold
Kesting zusammen. Was Letzteren betraf, konnte sie nur hoffen, dass er nicht
über eine ähnlich scharfe Beobachtungsgabe verfügte wie Paul und im Gegensatz
zu diesem nichts von Kassandras innerem Widerstreit bemerkt hatte.
11
Arnold Kesting erwies sich als einigermaßen ungeduldig. Kassandra
hatte kaum die Frühstückstische ihrer Gäste abgeräumt, als er anrief und für
den Nachmittag einen Ausflug nach Prerow vorschlug. Wider Erwarten freute sie
sich darauf, denn sie liebte die Schifferkirche dort mit den uralten, teils
kunstvoll gemeißelten Grabsteinen, durch die sie geschickt das Gespräch auf
Tina Bodenstedt lenken könnte. Auch wenn Steinmetze nicht unbedingt mit
Bildhauern gleichzusetzen waren, gab es immerhin einen Ansatzpunkt.
Eine halbe Stunde lang spazierten sie über den ruhig am Waldrand
gelegenen Friedhof und studierten die Grabinschriften rund um die Kirche. Viele
der Grabsteine waren mit Schiffen oder anderen maritimen
Symbolen verziert, die Schrift im Laufe der letzten hundertfünfzig
Jahre oft verwittert.
»Wäre ich Schriftsteller, würde ich mich hier
inspirieren lassen«, meinte Arnold. »So viele unbekannte
Geschichten hinter diesen Steinen.«
Der Gedanke gefiel Kassandra.
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