Fischland Mord - Küsten-Krimi
dein Exgatte
aufflog, heißt das ja nicht, dass wir sie oder andere nicht von Neuem
begeistern können. Lass uns reingehen und so tun, als hätten wir alles Geld der
Welt.«
Er führte sie um das Gebäude herum zu einer Tür, zu der ein paar mittlerweile von Gestrüpp und sogar einer kleinen Birke überwucherte Stufen hinaufführten. »Dieser Eingang sollte natürlich dicht
sein, aber das Schloss ist kaputt.« Zusammen mit Kassandra zwängte
er sich durch das dichte Gebüsch, half ihr die Stufen hoch und drückte die Tür
auf. »Sei vorsichtig, ist nicht ganz ungefährlich, hier rumzuspazieren.«
Wie sich herausstellte, war in dem Seitenflügel die Mensa
untergebracht gewesen. Noch heute bot sie trotz des desolaten Zustands, der kaputten Fenster und des zerstörten, aufgeworfenen Parketts
ein beeindruckendes Bild. Der Raum war riesig und hoch, er nahm zwei Stockwerke
ein, die Decke wurde von quadratischen Holzsäulen gestützt. Über dem Teil des
Raumes, der die Essensausgabe gewesen war, erkannte Kassandra ein großes
Wandgemälde, das eine Weltkarte zeigte und Schiffe und Matrosen.
»Das ist von Hedwig Holtz-Sommer«, erklärte Jonas. »Nicht dass ich
viel von Kunst verstehe, weißt du ja, aber dass eine von den
berühmten Malweibern sich hier verewigt hat, hat sich selbst mir
eingeprägt.«
Es bereitete Kassandra keinerlei Schwierigkeiten, sich vorzustellen, wie es hier früher von Studenten gewimmelt hatte, die aßen
und schwatzten und von ihrer Zukunft träumten.
Sie vergaß Arnolds Verschwinden und ihren Ärger mit Dietrich und
Menning, während sie sich über das imposante breite Treppenhaus von
einem Stock in den nächsten vorarbeiteten. Fast überall sah es
gleich aus: Die Wände waren mit Graffiti beschmiert, auf den Fußböden lagen
Holzlatten und anderer Schutt, Tapeten hingen halb abgerissen von den Wänden.
Irgendwo stand ein Fenster mit zerbrochenen Scheiben offen, eine kaputte
Rotkäppchensektflasche lag auf dem Boden. Schließlich stiegen sie an
der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes auf
den Turm, vorbei am ehemaligen Planetarium, bis hinauf in einen
Raum, in dem ein Deckengemälde schon abblätterte und kaum noch zu erkennen war.
Dort stießen sie eine Tür auf und traten nach draußen auf die schmale
Balustrade. Die Aussicht auf Wustrow, den Bodden und auf die See war überwältigend,
sogar trotz des schlechten Wetters.
»Hier müsste ein Café hin oder der Ruhebereich einer Sauna, verglast
mit Rundumblick«, fand Kassandra. Im gleichen Moment kam ihr das
wie ein Sakrileg vor. Dennoch rissen sie weiter gedanklich Wände
ein und verwandelten den durchgängigen Dachstuhl in ein gigantisches
Schwimmbad.
Als sie wieder am Ausgangspunkt waren und Jonas schon
das Gebäude verlassen wollte, fiel ihr noch etwas ein.
»Was machen wir mit dem Keller?«
»Der wird zum Entertainment-Bereich«, schlug Jonas
vor. »Musik, Kino, Theater, dazu braucht man kein Tageslicht.«
Vorsichtig stieg er die Stufen hinunter, schaltete die
Taschenlampe ein und leuchtete den Gang entlang. »Nein, dafür
sind die Decken viel zu niedrig.« Ganz langsam arbeiteten sie sich in der
Dunkelheit vorwärts. Selbst die Taschenlampen spendeten nur notdürftig im sehr
nahen Umfeld Licht, und sie mussten höllisch aufpassen, keine der immer wieder
plötzlich auftauchenden Stufen zu übersehen. Kassandra hatte noch nie solche
Finsternis erlebt. Ohne vorausschauen zu können, gelangten sie von einem Raum
in den nächsten, dann wieder in einen nach rechts oder links abzweigenden Gang.
»Das ist ein Labyrinth«, sagte sie und fluchte gleich darauf, weil
sie erneut Stufen übersehen hatte und fast hingefallen wäre.
»Vielleicht gibt’s hier Ratten oder sogar Fledermäuse«, tönte Jonas’
Stimme aus dem Dunkel vor ihr.
»Von mir aus.« Kassandra stieß fast gegen Jonas, der stehen
geblieben war. »Was ist? Hast du die absolut geniale Keller-Idee, der kein Investor
widerstehen kann?«
Jonas bedeutete ihr mit einem »Schsch«, still zu sein. Da hörte sie
es auch. Kassandra lief es kalt über den Rücken bei dem Geräusch, das sich wie
eine unheimliche Mischung aus Stöhnen, Rufen und Kreischen anhörte. Zuerst war
es ganz leise, aber es wurde etwas lauter, als sie sich weiter in die
eingeschlagene Richtung bewegten. Mit einem Mal standen sie jedoch vor einer
Mauer. Es gab keinen anderen Weg aus dem Raum als den, den sie
gekommen waren.
»Eine Sackgasse«, flüsterte Jonas und legte das Ohr an die Wand.
»Aber es kommt von
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