Fischland Mord - Küsten-Krimi
bis morgen Zeit hatte.
15
Jonas meldete sich sehr früh am nächsten Morgen von allein bei
Kassandra. Wie sich herausstellte, hatte nicht Paul, sondern er am vergangenen Abend mit einem Kumpel in der Kneipe gesessen. Während
Kassandra das Frühstück ihrer Gäste zubereitete, saß er mitgenommen am
Küchentisch.
»Brauchst du ein Aspirin?«, erkundigte sie sich angelegentlich.
»Ich hab gehofft, dass du das fragst. Meine sind alle.«
Kassandra ließ eine Brausetablette in ein Glas Wasser
fallen. »Muss ja ein beeindruckender Abend gewesen sein.«
Jonas verzog das Gesicht. »Geht so. Ich kann mich nicht erinnern,
wann ich das letzte Mal so versackt bin. Gerlinde war übrigens auch
da, sie hat mir von der Vermisstenanzeige erzählt. Hat sich schon
jemand bei dir blicken lassen?«
Kassandra fasste ihre Befragung zusammen.
»Wir treten auf der Stelle, bis wir was über Menning erfahren oder
Kesting wieder auftaucht«, meinte Jonas. »Wir könnten allerdings so lange
versuchen, ein zweites Exemplar des Katalogs aufzutreiben, aus dem die Seite
fehlt. Ich häng mich im Laden deswegen ein bisschen ans Telefon, die
Bootstouren fallen heute sowieso aus. Es schüttet und ist stürmisch,
daran wird sich den Tag über wenig ändern.«
Er nahm den Katalog mit, als er sich verabschiedete. »Ach ja«, sagte
er, schon halb draußen. Weil der Regen in den Flur drang, schloss er die Tür
wieder. »Hast du heute Nachmittag was vor?«
»Nein. Was soll man bei dem Wetter schon machen?«
»Warst du mal in der Seefahrtschule?«, antwortete Jonas mit einer
Gegenfrage.
Kassandra war nie in der Ruine gewesen und hatte dazu bisher auch
keinerlei Bedürfnis verspürt. Zweifelnd schüttelte sie den Kopf.
»Jungs Idee hat mich drauf gebracht. Lass uns doch vor der
offiziellen Begehung selbst eine veranstalten. Mag sein, dass er etwas voreilig war, aber im Grunde finde ich seinen Plan nicht übel. Entweder
macht man was aus dem Gebäude, oder man reißt es endgültig ab. Ersteres ist
sinnvoller.«
»Paul scheint anderer Meinung zu sein.«
»Paul hat das nur so dahingesagt. Er will nicht ernsthaft, dass die Schule abgerissen wird. Aber selbst wenn: Er hat nicht immer recht«,
sagte Jonas etwas ungeduldig.
Kassandra sah ihn verwundert an. »Ich glaub nicht, dass er das für
sich beansprucht. Aber gut, sehen wir uns an, was man aus dem Kasten
machen könnte. Übernimmt Chris nachmittags den Laden?«
»Ja. Er hat mich um Sonderschichten gebeten, weil er das Geld
braucht. Ich hol dich um drei ab.«
Ausgestattet mit Taschenlampen und festen Schuhen standen Kassandra
und Jonas am Parkplatz hinter der Schule. Es hatte zwar aufgehört zu regnen,
aber der Sturm war heftiger geworden, was der Umgebung eine seltsame Atmosphäre
verlieh. Das Gebäude bestand aus einem dreistöckigen, lang gezogenen
Komplex, an dessen linker Ecke sich ein dreißig, vierzig Meter
hoher quadratischer Turm mit einer Aussichtsbalustrade befand. Fast am anderen
Ende gab es noch einen kleineren Seitenflügel. Kassandra sah an
der graubraunen Fassade mit den teils mit Brettern vernagelten,
teils eingeschlagenen, teils noch heilen Fenstern empor.
»Das graue Schloss am Meer«, zitierte sie eine früher gebräuchliche
Bezeichnung für die Seefahrtschule, die sie irgendwo aufgeschnappt
hatte. »Weißt du, was hier ursprünglich wo untergebracht war?«
»Nur ungefähr. Im Turm gab’s ein Planetarium und eine
Bibliothek. Ein paar Gebäudeteile sind abgerissen worden, es gab
ein Internat und technische Abteilungen. Ich hab mich nie
sonderlich für die Schule interessiert. Als sie 1992 geschlossen
wurde, hatte ich tausend andere Sachen im Kopf. Bloß das mit dem Brand hab ich
mitbekommen.«
»Es hat gebrannt?«
»Unten im Turm fing’s an, vermutlich Brandstiftung, aber man hat nie rausgefunden, wer dahintersteckte. Auf jeden Fall hat das die
Schließung noch mal beschleunigt.«
Nachdenklich ließ Kassandra ihren Blick weiter über
den Komplex gleiten. »Daraus könnte tatsächlich was werden,
aber ich möchte nicht wissen, wie viel man dazu investieren muss.
Das Gebäude steht seit fast zwanzig Jahren leer, die erforderliche
Kernsanierung ist wahrscheinlich noch das geringste Problem.«
»Mit den richtigen Geldgebern machbar«, fand Jonas.
Kassandra zog die Stirn kraus. »Du glaubst, dass
ausgerechnet Jung die findet?«
»Ich weiß nicht, aber es ist ein unglaublich guter Standort – und
nur weil die Großinvestoren damals rechtzeitig abgesprungen sind, bevor
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