Fischland-Rache
Galerie war, kein Mensch auÃer ihnen schien hier zu sein. Sie traten hinter die Stellwand mit dem DarÃwald-Foto und sahen sich mit einem unbesetzten Kassentisch konfrontiert, auf dem neben einer silbernen Glocke verloren ein Telefon lag. Ein Schild bat die Besucher zu läuten. Paul tippte auf die Glocke. Anscheinend hatte Ralf Peters in der Nebensaison keine Angestellten, er selbst kam auf das Klingeln hin aus einem der hinteren Räume nach vorn. Kurz stutzte er, als er seine Besucher erkannte, und blieb schlieÃlich einen Meter vor ihnen stehen, ohne an die Kasse zu treten. »Paul. Was kann ich für dich tun?« Kassandra ignorierte er.
»Du könntest uns zwei Eintrittskarten verkaufen«, sagte Paul lächelnd. »Kassandra hat ein Faible für Fotografien, und deine Ausstellung fiel mir wieder ein, als wir uns neulich vorm âºFischLänderâ¹ trafen. Wir haben es bloà nicht eher geschafft vorbeizukommen.«
Ralf Peters machte eine einladende Handbewegung. »Nur zu. Nachdem du mir an dem Abend einen Gefallen getan hast, ist das Mindeste, was ich tun kann, euch keine drei Euro pro Nase abzuknöpfen.«
»Danke. Konntet ihr euch aussprechen, oder ist Mirko immer noch sauer?«
Das darauf folgende Schulterzucken sagte alles und nichts, mehr gab Peters nicht preis.
Etwas ungeduldig meinte Paul: »Er ist dein Sohn. Nimm ihn, wie er ist, und versuch nicht dauernd, ihn zu ändern.«
Ralf Petersâ Stirn umwölkte sich. Er war kurz davor aufzubrausen, sagte aber nur gepresst: »Wenn ich deinen Rat will, frage ich. Ganz sicher allerdings nicht in dieser Angelegenheit, es wäre mir nämlich neu, dass du Ahnung davon hättest, wie man mit seinem Nachwuchs umgeht. Viel Vergnügen jedenfalls bei der Ausstellung.« Abrupt wandte er sich um und verschwand wieder in dem Raum, aus dem er gekommen war.
»Da hat er recht«, sagte Paul. »Ich hab keine Ahnung von Kindererziehung. Bloà ein bisschen gesunden Menschenverstand, hoffe ich.«
»Das ist längst nicht dasselbe«, erwiderte Kassandra belustigt und fuhr bedeutend leiser fort: »Er ist zu wie eine Auster. Meinst du, wir kriegen den noch zum Reden?«
»Nicht sofort, aber warten wirâs ab. Ich habe das Thema Mirko erst mal angeschnitten, lassen wir ihn ein bisschen vor sich hin schmoren, bis ich drauf zurückkomme. In der Zwischenzeit sehen wir uns die Fotos an.«
Sie wanderten von Stellwand zu Stellwand und betrachteten die Fotos, die, wie auf dem Plakat angekündigt, in der Tat magisch wirkten. Zuerst das Naturschauspiel der Wellen und Windflüchter im Sturm am DarÃer Ort, dann der Weststrand in milchigem Sonnenschein, kleine verträumte Boddenhäfen und schlieÃlich Fotos von DarÃer Häusern und Türen und von einer halb verfallenen Mühle, die in Schwarz-Weià eine ganze eigene Wirkung entfalteten â all das verzauberte Kassandra. Das letzte Bild zeigte einen uralten Baum, dessen knorriger Stamm Kapriolen zu schlagen und sich um sich selbst zu wickeln schien. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es sich um zwei Bäume mit zwei Baumkronen handelte, deren Stämme im Laufe der Jahrhunderte zusammengewachsen waren und sich untrennbar vereint hatten.
Ehe ihr bewusst wurde, was sie tat, griff sie nach Pauls Hand. Ihre Finger verschränkten sich ineinander, zuerst locker, dann fester, und als sie sich zu ihm umwandte, traf sie die Intensität seines Blickes bis ins Mark. Es lag ein Versprechen darin, das mehr wog, als Worte es je konnten, und weit mehr wert war als irgendeine Unterschrift auf irgendeinem Papier. Da schob sich unversehens ein Schatten über seine Augen. Wo sie eben noch in ihnen hatte lesen können wie in einem Buch, sah sie nun â gar nichts mehr. Paul lieà ihre Hand los, gleichzeitig machte er einen Schritt rückwärts. Er wandte den Blick ab, drehte sich um und ging auf den Raum zu, in dem Ralf Peters sich aufhielt.
Kassandra brauchte einen Moment, um sich wieder bewegen und ihm folgen zu können. Dabei sah sie nicht seinen Rücken, sondern seine Augen vor sich, in denen sich vor dem Nichts für einen Sekundenbruchteil noch etwas anderes gespiegelt hatte, ohne dass sie es genauer bestimmen konnte. Sie spürte nur, dass es ihr Angst machte. Angst, Paul zu verlieren.
Paul hatte mittlerweile an den Türrahmen geklopft. »Ralf? Hast du eine Minute?«
Kassandra sah an ihm vorbei in
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