Fischland-Rache
und Paul kurz stehen. Die fünf Leute aus der Klinik hatten sich an einen Tisch am Fenster gesetzt. Der Mann mit der blauen Brille und eine der Frauen sahen hoch, neugierig, wer da noch kam. Kassandra musterte den Mann relativ ungeniert. Er hatte ein Durchschnittsgesicht, die Augen hinter der Brille machten aber einen wachen Eindruck. Der Mann registrierte Kassandras Musterung und runzelte kaum merklich die Stirn. Sein Blick glitt weiter zu Paul, der sich eben umdrehte, um sich an einen Tisch zu setzen, von dem aus man unverstellte Sicht auf die Gruppe hatte. Sein Stirnrunzeln wurde tiefer, er wandte sich erst ab, als er von einem der anderen Männer angesprochen wurde.
Paul bestellte wie angekündigt Currywurst, Kassandra einen strammen Lachs. Während sie aÃen und sich leise unterhielten, wanderten ihre Blicke immer wieder zu dem Tisch gegenüber, zwei- oder dreimal trafen sie auf den des Mannes mit der hellblauen Brille. Nach einer Weile wurde er ausgesprochen unruhig.
»Was hat er?«, fragte Kassandra. »Sieht man uns so deutlich an, dass wir rumschnüffeln?«
»Mag sein, er hält uns für unliebsame Journalisten. Mag aber auch sein, dass er ahnt, wer wir tatsächlich sind.«
Nach ihrer ausgiebigen Mittagspause zahlten die fünf recht zügig und verlieÃen das Lokal, Paul und Kassandra drohten den Anschluss zu verlieren. »Ich versuche, ihn abzupassen und anzusprechen, das ist vielleicht unsere einzige Chance«, sagte Kassandra.
DrauÃen fuhren jedoch schon die beiden Autos an ihr vorbei. Der Mann mit der Brille sah aus dem Seitenfenster und begegnete erneut ihrem Blick â diesmal ausdruckslos.
In Wustrow stand Kassandra auf dem Parkplatz des kleinen Supermarkts in der Thälmann-StraÃe und lud ihre Einkäufe in den Kofferraum. Dabei spielte sie zum x-ten Mal die möglichen Konsequenzen durch, die sich von ihrem Ausflug nach Gollwitz ableiten lieÃen. Sie war so damit beschäftigt, sich zu fragen, was für Clemens Meisner am schlimmsten wäre, wenn es ans Tageslicht käme, dass sie Bruno erst bemerkte, als er direkt neben ihr stand.
»Ah, du kriegst wieder Gäste«, schlussfolgerte er, um übergangslos fortzufahren: »Mädchen, ich sage dir, hier war heute Vormittag was los! Das halbe Fischland hat Heinz auf seine malträtierte Schulter geschlagen, als er das Haus verlassen hat â das muss dem richtig unheimlich gewesen sein.« Bruno lachte, wurde aber gleich wieder ernst. »Als ich ihm begegnete, sah er jedenfalls eher unglücklich aus. Er hat mir für meine Hilfe gedankt, dabei hab ich doch gar nichts getan, aber mit den Gedanken war er ganz woanders. Er kriegt doch nicht wieder Schwierigkeiten?«
»Wir haben heute noch nicht miteinander geredet«, sagte Kassandra beunruhigt und erzählte kurz von ihrem Poel-Abstecher. »Ich geh gleich zu ihm, danke fürs Bescheidgeben.«
»Dafür nicht. Wenn ich was tun kann, sagt es bitte.«
Heinz war jedoch nicht da, sein Haus sah so dunkel aus wie in den letzten Tagen, sein Handy war abgeschaltet. Nachdem Kassandra ihre Einkäufe verstaut hatte, machte sie sich auf den Weg zu Paul, der ebenfalls besorgt reagierte. Umso erleichterter waren sie, als Heinz abends von ganz allein vor ihrer Tür stand. Bruno hatte recht gehabt, er sah wirklich nicht glücklich aus.
»Ich habe mit Mirko geredet und zuerst die Sprache auf Clemens gebracht. Ging ja problemlos wegen seines Konzertes hier. Mirko meinte, das wäre definitiv nicht seine Musik, persönlich kennen die sich erst recht nicht. Guck nicht so zweifelnd, Kassandra. Wenn du mir und meiner Nase was zutraust, kannst du mir glauben, dass er die Wahrheit gesagt hat.« Er seufzte. »Jedenfalls in dieser Hinsicht. Was die Sache mit dem Schlüssel angeht dagegen ⦠Er behauptet mir gegenüber das Gleiche wie Dietrich gegenüber, nämlich dass niemand davon gewusst hat und niemand den Schlüssel hätte stehlen können, weil er ihn bei sich zu Hause aufbewahrt, wenn er ihn gerade nicht braucht. Ich hasse es, das sagen zu müssen, aber ich bin mir sicher, dass er lügt.«
»Vielleicht will er bloà nicht zugeben, dass er schlampig war und du womöglich seinetwegen in die Bredouille gekommen bist«, sagte Kassandra behutsam.
»Deswegen müsste er jetzt nicht mehr lügen, es ist ja vorbei«, widersprach Heinz. »Ich glaube eher, er will jemanden
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