Fischland-Rache
das Gefühl beschlich, dass diese Düsterkeit zu dem passte, was er ihnen gleich erzählen würde.
»Vor einiger Zeit kannte ich einen prominenten und einflussreichen Mann. Einen Politiker. Er hatte was übrig fürs Feiern, ab und zu gab er selbst Partys, aber die waren im Gegensatz zu denen vieler anderer Prominenter weder berühmt noch berüchtigt. Seine Gäste waren handverlesen, und sie wussten, was sie erwartete. Politiker haben viele Feinde, und die schlimmsten Feinde sind ihre Freunde â einer davon hatte der Polizei einen Tipp gegeben, sodass eines Abends überraschend eine Horde Uniformierter die Villa von oben bis unten durchkämmte, alle Anwesenden filzte und bei den meisten überaus fündig wurde. Ich war nicht nur vollkommen zugedröhnt, ich hatte auch noch einige Tütchen bei mir, deren Besitz strafbar ist. Ein paar Freunde des Gastgebers, die diesmal nicht anwesend waren, müssen immerhin doch echte Freunde gewesen sein. Die haben dafür gesorgt, dass er so gut wie ungeschoren davonkam, wodurch all die nicht minder prominenten Gäste ebenfalls weitgehend in Ruhe gelassen wurden.« Er hielt einen Moment inne, als würde es ihm widerstreben weiterzuerzählen. »Da ihr so gründlich seid, wisst ihr wohl, mit wem ich verheiratet bin und wer mein Schwiegervater ist. Den Herrn Staatssekretär hat fast der Schlag getroffen, als er davon erfuhr. Er hatte keine Ahnung, dass ich drogen- und medikamentenabhängig war. Meine Frau dagegen hatte ein paarmal versucht, mich von dem Zeug loszukriegen, aber das muss man schon selbst wollen, und erst dieses einschneidende Erlebnis, im Zuge dessen ich übrigens, wenn auch nur kurz, eine Gefängniszelle von innen gesehen habe, öffnete mir die Augen. Ich lieà mich in eine Klinik einweisen â nicht ganz so weit weg wie Tasmanien, zugegeben, bloà die Insel Poel. Auf Empfehlung eines der Freunde des Freundes. Sehr verschwiegen, mit exzellentem Ruf unter denen, die schon mal dort ⦠zu Gast waren.«
Meisner drehte sich um und sah Kassandra und Paul zum ersten Mal wieder an. Kassandra bemerkte, dass er noch bleicher geworden war und dass seine rechte Hand zitterte. Er ging zum Sessel, durchwühlte seine Manteltaschen, förderte ein leeres Päckchen Zigaretten zutage, zerknüllte es und steckte es zurück.
Paul stand auf, um zum Schreibtisch zu gehen und aus der unteren Schublade ein Päckchen hervorzuholen, das er ihm zuwarf. »Wennâs dir nichts ausmacht, dass es nicht deine Marke ist.«
Clemens Meisner fing es auf. »Du rauchst noch?«
»Gelegentlich.« Paul stellte einen Ascher auf den Tisch.
Meisner zündete sich eine Zigarette an und setzte sich wieder. »Der Entzug war hart, um das mal untertrieben auszudrücken«, nahm er den Faden wieder auf, »und er beinhaltete Therapiestunden bei einem Psychofritzen. Vor der ersten Sitzung wartete ich in seinem Sprechzimmer und hatte mir jedes Wort gründlich überlegt, das ich sagen wollte. Dann kam er rein â und mein Kopf war von einer Sekunde auf die andere komplett leer.« Er sah mit einem Mal zweifelnd auf seine Zigarette und drückte sie mit einer schnellen, heftigen Bewegung im Ascher aus. »Ich hatte seit Steffen keine längere Beziehung mehr zu einem Mann gehabt. Die ersten Jahre bin ich gut damit klargekommen, ab und zu schneller Sex mit irgendwem reichte mir, um ansonsten ein ⦠normales Leben zu führen. SchlieÃlich war es damals so ziemlich überall auf der Welt nicht gerade akzeptiert, als öffentliche Person schwul zu sein. Stattdessen erwarteten die Medien, mich mit reihenweise schönen Frauen zu sehen, was mir immer schwerer fiel. Aber ich fand weder die Kraft noch den Mut, reinen Tisch zu machen, also belog ich alle anderen und mich selbst weiter und dachte, es wird schon gehen. SchlieÃlich lernte ich Silvia kennen. Sie ist eine tolle Frau, und ich hoffte, mit ihrer Hilfe Männer vergessen zu können. Was für ein Blödsinn. Du kannst dir nicht vorstellen, Paul, wie das ist, wenn man ein bekanntes Gesicht hat, bei jeder Bewegung mit Argusaugen beobachtet wird und sich keinen noch so kleinen Fehltritt erlauben darf. Inzwischen nicht mehr, weil es der eigenen Karriere schaden könnte â was vermutlich längst nicht mehr der Fall gewesen wäre. Jetzt musste ich Rücksicht auf Silvia und die Kinder nehmen und auf Silvias Vater.
Weitere Kostenlose Bücher