Fischland-Rache
besonders schnell auf die Kombination gekommen. Als dein Bruder erschossen aufgefunden wurde, was hätte ich da wohl denken sollen?«
Eine kleine Ewigkeit war nur das leise Knacken der Heizung zu hören. »Ich hab ein ⦠Alibi«, sagte Paul, beinah wieder in seinem alten, spöttischen Tonfall.
»Sicher. Für die ganze Nacht. Wir wissen doch beide, was ein Alibi von der eigenen Freundin wert ist, wenn es hart auf hart kommt.«
»Nicht von Kassandra. Von Bruno. Und ja, für die ganze Nacht. Ich war bei ihm, um über mein Manuskript zu reden.«
Heinz tippte sich an die Stirn. »Bruno Ewald, klar. Das ist in etwa so viel wert wie ein Alibi von Kassandra. Sei froh, dass Dietrich das nicht weiÃ. Mir dürftest du mit so was nicht kommen.«
»Dietrich glaubt auch kein Wort davon. Trotzdem vertraut er mir, frag mich nicht, warum. Allerdings â¦Â«
»Allerdings weiÃt du nicht, ob er dir noch vertrauen würde, wenn er alles wüsste? Von mir erfährt er nichts. Ich habe kein Recht, dich zu verurteilen.«
»Du hättest jedes Recht dazu. Du solltest hier gar nicht mit mir sitzen. Gerade du nicht.«
Nachdenklich rieb sich Heinz das Kinn. »Bist du der Ansicht, ich sollte dich stattdessen lieber fragen, wo du in der Mordnacht tatsächlich warst?«
»Warum tust duâs nicht?«
Heinz sah Paul lange an, dann schüttelte er den Kopf. »Ich bilde mir einiges auf meine Beobachtungsgabe ein. Und hätte ich nicht so viel meiner Lebenszeit damit verschwendet, dir aus dem Weg zu gehen, hätte ich in deinem Fall wohl mehr und anderes gesehen als das, was ich sehen wollte.« Paul setzte zu einer Erwiderung an, doch er lieà ihn nicht zu Wort kommen. »Ich war zu voreilig mit meinem Verdacht, das hätte mir nicht passieren dürfen. War eine harte Lektion. Dafür lösen wir jetzt den Fall gemeinsam. Ist ja auch eine tolle Kombination: Ich ein Ex-Polizist und Ex-Knacki, du ein Ex-Knacki und Dietrich ein Noch-Polizist. Wenn der nämlich weiter diese unorthodoxen Methoden anwendet, lege ich bestimmt nicht die Hand dafür ins Feuer, dass er bis zur Pensionierung durchhält.«
»Du hast keine Ahnung, wie unorthodox seine Methoden tatsächlich sind. Und du hast Bruno vergessen und Kassandra«, sagte Paul.
»Bruno? Muss er Jonas Zepplin ersetzen? Wieso überrascht mich das nicht? Was Kassandra betrifft, wäre es mir ehrlich gesagt lieber, wenn sie sich raushielte. Aber sie ist da, wo du bist, besser, ich rede erst gar nicht.« Heinz lächelte kaum wahrnehmbar. »Wie unorthodox sind also Dietrichs Methoden? Habt ihr noch jemanden auÃer Clemens im Visier?«
Paul entspannte sich und nickte. Kassandra sah, dass seine schlanken Finger sich entkrampften. Während der gesamten Unterhaltung hatte sie wie festgefroren dagestanden und kaum geatmet. Jetzt löste sie sich geräuschlos vom Türrahmen, huschte in den Flur, öffnete die Haustür und lieà sie laut wieder zufallen. Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer.
21
Paul saà gelassen hinterm Steuer seines Å koda und fuhr in Richtung Fährdorf über den Poeler Damm, der gröÃtenteils wie eine unspektakuläre StraÃe wirkte, weil man rechts und links meist Land und nur auf einer kürzeren Strecke die Ostsee sah. Er gab sich wie immer. Und weshalb auch nicht? Soweit er es beurteilen konnte, wusste Kassandra heute nicht mehr über seine Vergangenheit als am Tag zuvor. Dabei war das, was sie belauscht hatte, wie eine Sturmflut über sie hereingebrochen, und es fiel ihr ungeheuer schwer, nicht mit Paul darüber zu reden.
Nach einer knappen Viertelstunde erreichten sie die Promenade am Schwarzen Busch. Auf den StraÃen, die unter einer freundlichen, leicht diesigen Spätvormittagssonne lagen, war noch weniger los als in Wustrow, alles hier mutete verschlafen an. Paul parkte den Å koda, und kurz darauf standen sie auf einem schönen Sandstrand. Linker Hand lagen hinter der Düne die Promenade und Häuser, rechts dehnte sich der Strand mit einer Steilküste Richtung Gollwitz scheinbar endlos aus. Sie entschieden sich, dort entlangzugehen, weil Heinz das ein Jahr zuvor ebenfalls getan hatte.
Der Strand wurde bald steinig, die Steilküste rau und mit Bäumen und Gebüsch überwuchert. Niemand begegnete ihnen, sie redeten nicht viel. Kassandra hing ihren Gedanken nach, die nichts mit dem Fall zu tun hatten. Zum
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