Fischland-Rache
Minuten später saÃen sie im Wagen und hatten noch immer kaum ein Wort gewechselt. Das blieb auch die nächsten anderthalb Stunden so. Normalerweise mochte Kassandra es, sich im Sitz zurückzulehnen und Paul dabei zu beobachten, wie er seinen einige Jahre alten Å koda fuhr, der ihm genug Beinfreiheit lieàâ anders als ihr kleiner Renault. Aber normalerweise saà Paul auch entspannter hinterm Steuer. Sie fragte sich, ob das nur an gestern Abend lag, oder ob er wie sie daran dachte, dass sie nun erstmals seine Mutter treffen würde. Unter denkbar schwierigen Umständen.
Offenbar hatte Paul entschieden, das noch etwas aufzuschieben. Er fuhr eine mit Bäumen gesäumte StraÃe am Lankower See entlang, bog noch einmal ab, und bald kam ein drei Stockwerke hohes Gebäude aus rotem Ziegelstein und Fachwerk in Sicht: die alte Mühle, von der Claudia Berghuber gesprochen hatte. Seitlich der Mühle drehte sich behäbig ein groÃes Wasserrad, aus den Fenstern darüber musste man einen idyllischen Blick zwischen den Bäumen hindurch auf den See haben. Auf dem Parkplatz nahm sich Pauls Å koda mehr als bescheiden unter den anderen Fabrikaten aus. Kassandra konnte sich gut vorstellen, dass jemand wie Clemens Meisner hier übernachtet hatte. Falls er hier übernachtet hatte.
»Wusstest du eigentlich, dass Clemens auch selbst komponiert?«, fragte Kassandra und berichtete von ihrer Internetrecherche.
»Tasmanien? Ziemlich weit weg, dabei war Clemens nie der Aussteigertyp«, meinte Paul. »Er hat immer geradlinig und pragmatisch sein Ding durchgezogen.«
»Du meinst demnach auch, hinter der Schöpfungsphase könnte sich was anderes verbergen?« Als Paul sich nur nachdenklich das Kinn rieb und auf die Mühle starrte, nahm sie das als Zustimmung. »Wie willst duâs in dem Hotel anstellen?«, erkundigte sie sich.
»Ich werde ein bisschen Alexander Hardenberg spielen â zu irgendwas muss ein bekannter Name ja gut sein. Hoffen wir, dass die bloà den Namen kennen und nicht das Foto aus dem Netz.« Pauls Verleger hatte vor Jahren nicht nur auf einem klangvollen Pseudonym bestanden, sondern ebenso auf einer erfundenen Biografie und einem falschen Foto für Alexander Hardenberg. Paul war dieses Arrangement ganz recht gewesen, weil er seine Person für nebensächlich hielt. Auch als sich der Erfolg einstellte, war er dabei geblieben. Das Foto, das sie benutzten, zeigte in Wahrheit seinen Vater.
»Was soll ich dabei tun?«
»Du könntest meine Agentin sein und erst mal das Reden übernehmen. Der Autor redet nur, wenn er was Wichtiges zu äuÃern hat«, meinte Paul spöttisch. »Tu so, als hätten wir ein Zimmer reserviert, der Rest ergibt sich von selbst.«
Paul hielt Kassandra die gläserne Eingangstür des Hotels auf und lieà ihr auch danach den Vortritt, während er ein Stück hinter ihr blieb. Kassandra richtete sich so gerade wie möglich auf und stolzierte zur Rezeption. »Guten Tag, mein Name ist Annerose Kordes, ich bin die Agentin von«, sie senkte ihre Stimme etwas und deutete mit einer dezenten Kopfbewegung in Richtung Paul, der sich in Hörweite befand, sich aber unbeteiligt den Schlagzeilen der auf dem Empfangstresen ausliegenden Tageszeitungen widmete, »Alexander Hardenberg. Meine Assistentin hat zwei Zimmer bei Ihnen reserviert.«
Der Angestellte an der Rezeption, der laut des Schildchens auf dem Tresen Bjarne Jönsson hieÃ, warf diskret einen flinken Blick zu Paul hinüber. »Selbstverständlich, ich werde sofort nachsehen.« Nach kürzester Zeit wandte er sich wieder Kassandra zu. »Es tut mir sehr leid, aber wir haben keine Reservierung vorliegen, weder auf Ihren Namen noch auf den von Herrn Hardenberg.« Es war ihm sichtlich unangenehm, diese schlechte Neuigkeit überbringen zu müssen.
»Wie bitte?« Kassandra riss die Augen auf. »Das kann nicht sein. Sehen Sie noch mal nach.«
»Selbstverständlich, wenn Sie das wünschen. Ich fürchte nur, es wird an dem Umstand nichts ändern.« Jönsson schaute noch einmal in sein Buchungssystem und verneinte abermals. »Es tut mir leid.«
»Das ist ja unglaublich!« Kassandra drehte sich zu Paul um, der näher gekommen war.
»Gibtâs Probleme?«, fragte er.
»Das kann man wohl sagen. Unsere Reservierung ist verloren gegangen, offenbar ein akuter Fall von
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