Fischland-Rache
können.«
»Ich dachte da ans âºFischLänderâ¹.«
»Was?« Kassandra musste das sacken lassen. »Würde Inga nicht misstrauisch werden? Davon abgesehen: Macht sie so was überhaupt?«
»Das käme auf eine Frage an. Sie müsste nur den Raum zur Verfügung stellen, Kaffee kochen, ein paar Schnittchen zubereiten und den Kuchen liefern lassen. Dasselbe, was andere auch tun würden. Und warum sollte sie misstrauisch werden? Wir sind Freunde ihrer Freundin. Ich fände es auf jeden Fall spannend. Fragst du sie?«
»Mach ich.«
»Alles klar. Ansonsten sieht es so aus, als könnten wir heute nicht mehr viel tun auÃer warten, bis Dietrich sich meldet.«
»Kann deinem Manuskript bestimmt nicht schaden. Du hast ein paar Tage gar nicht dran gesessen, oder?«
»Nein. Ich weià auch nicht, ob ich das jetzt kann, trotzdem werde ich es versuchen. Heute Abend bei mir? Ich könnte wieder Scholle machen, wenn du welche mitbringst.«
Kassandra lachte. »Kannst du auch Zander?«
»Na logisch. Dauert etwas länger, aber ich kriegâs hin.«
Nachdem Paul aufgelegt hatte, betrachtete Kassandra den zweiten Brief der JVA . Sie könnte ihn zerfetzen und ungelesen ins Altpapier tun, aber wenn sie das gewollt hätte, hätte sie den Antrag gar nicht erst stellen dürfen. Wie vorhin zitterten ihre Finger beim AufreiÃen des Umschlags, doch diesmal schloss sie nicht die Augen. Sie wusste ja nun bereits, auf welchen von beiden Anträgen dieser Brief Bezug nahm.
Was sie tatsächlich las, erschreckte sie. Der Termin war heute um halb zwölf. Sie schaute auf die Uhr. Noch zwei Stunden, das konnte sie schaffen, und sie wäre auch rechtzeitig zurück, um abends bei Paul zu sein. Kurz überlegte sie, ob sie ihn anrufen und Bescheid sagen sollte. Das hat keinen Zweck, dachte sie dann, da muss ich allein durch.
Die Justizvollzugsanstalt Stralsund lag im Süden der Stadt. Kassandra fuhr durch ein Industriegebiet, danach vorbei an einer Gartenkolonie zur Rechten, während sich links der Blick auf das riesige hellblaue Gebäude der Werft am Strelasund auftat. Der Gebäudekomplex der JVA wirkte unter dem wolkenverhangenen Himmel niederschmetternd farblos, die hohen schmutzig rosa und schmutzig grauen Mauern selbst für Besucher abschreckend. Während Kassandra auf die gläserne Pförtnerloge zuging, die an der Mauer zu kleben schien, fiel ihr Blick auf die Flutlichtmasten mit den Ãberwachungskameras. Es kam ihr vor, als zeigten deren schwarze Augen genau auf sie. Unwillkürlich fragte sie sich, was es für ein Gefühl sein mochte, in einer Zelle eingesperrt zu sein. Sicher war Heinzâ Untersuchungshaft kein Spaziergang, aber gegen das, was Paul vor so langer Zeit durchgemacht hatte, war es vermutlich eher harmlos.
Ihre Schritte waren immer schwerfälliger geworden, doch nun konnte sie es nicht mehr hinausschieben. Sie legte Ihre Besuchergenehmigung vor, wurde eingelassen, abgetastet und anschlieÃend in den Besucherraum geführt, der nüchtern mit mehreren Tischen und Stühlen und wenigen Bildern an den Wänden ausgestattet war. Die kleinen Fenster lagen so hoch, dass man nicht hinaussehen konnte, und spendeten nicht genug Tageslicht, sodass künstliches Neonlicht von der Decke den Raum erhellte. Das Einzige, was ein wenig aus dem Rahmen fiel, waren ein Getränkeautomat und eine gelbe Kinderrutsche.
Kassandra wurde gebeten, sich an einen der Tische zu setzen und zu warten. Sie begann zu schwitzen, wischte sich nervös mit der Hand über die Stirn und zog den Mantel aus.
Gegenüber öffnete sich eine Tür. In Begleitung eines Justizvollzugsbeamten trat ein Mann ein, den Kassandra erst auf den zweiten Blick als ihren Exmann Sven Larsen identifizierte. Die drei Jahre, die er bereits im Gefängnis zugebracht hatte, waren ihm nicht gut bekommen. Er war mal ein groÃer, attraktiver Mann mit vollen braunen Haaren gewesen, der vor Selbstbewusstsein strotzte. Jetzt waren die Haare schütter geworden, er kam ihr kleiner vor, schmaler, abgestumpft, seine Bewegungen hatten nichts Dynamisches mehr. Ohne eine Miene zu verziehen und ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich ihr gegenüber, während der Beamte an der Tür stehen blieb.
»Hallo, Sven«, sagte Kassandra.
Reglos erwiderte er ihren Blick, bis er schlieÃlich zum Getränkeautomaten nickte. »Du könntest mir eine Cola
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