Fischland-Rache
Ohr wehte. Sie meinte etwas von »Zeitverschwendung« zu hören und »versteh dich nicht«. Harms drehte sich um und ging die Allee hinunter zum Ausgang. Im Gehen wedelte er mit einem Autoschlüssel, doch Dietrich achtete schon nicht mehr auf ihn, sondern richtete seinen Blick wieder auf die Trauergäste. Kassandra ignorierte er â fast. Ganz kurz sah er sie an und hob dabei ganz leicht und doch vielsagend die Schultern.
Der Friedhof leerte sich nach und nach, bis am Ende nur noch Bruno und Paul bei Margarethe Freese standen. Sie sagte etwas zu ihnen, worauf sich beide zurückzogen und zu Kassandra traten. Dietrich hielt nach wie vor Abstand.
»Schafft sieâs?«, fragte Kassandra.
Paul nickte. »Sie hatte schreckliche Angst vor diesem endgültigen Abschied. Jetzt geht es ihr zwar nicht gut, aber sie schafft es.« Er wandte sich an Bruno. »Danke, dass du da bist, das hilft ihr sehr.«
»Ist doch selbstverständlich.« Bruno wirkte etwas verlegen.
»Könntest du dich nachher auch ein bisschen um sie kümmern?«, fragte Kassandra. »Paul hat eine Verabredung mit Clemens Meisner.« In kurzen Worten erläuterte sie ihr Gespräch von eben.
Wieder nickte Paul. »Dann werden wir uns mal anhören, was er zu sagen hat. Meine Mutter hat ein paar der Leute, die sie von früher kennt, zu Inga eingeladen. Wenn die alle kommen, wird sie abgelenkt genug sein. Falls nicht«, er sah Bruno an, »wäre es groÃartig, wenn du für mich einspringen könntest, solange wir mit Clemens beschäftigt sind.«
In diesem Augenblick hatte sich Margarethe Freese vom Grab abgewandt und kam auf sie zu. Ihr Gesicht war immer noch bleich, aber es waren keine Tränen mehr darauf zu sehen.
Natürlich war Margarethe Freese der Name Inga Lange ein Begriff, nur von dem möglichen Zusammenhang zwischen der Star-Köchin und ihrer eigenen Familie ahnte sie nichts, und so nahm sie Ingas Beileidsbekundung im »FischLänder« mit einem leisen »Danke« an. Inga selbst lieà durch nichts erkennen, was sie dabei empfand, sondern verschwand gleich wieder in der Küche. Falls sie Sascha getötet hatte, legte sie gegenüber der Mutter ihres Opfers eine bemerkenswerte Kaltblütigkeit an den Tag.
Im Wintergarten hatten sich bereits acht, neun Leute eingefunden, vier davon kannte Kassandra mit Namen, unter anderem Clemens Meisner, der sich bei ihrem Eintreten erhob und auf Margarethe Freese zuging. Er war nicht bei denen gewesen, die ihr bereits auf dem Friedhof kondoliert hatten, und holte das nun nach.
»Paul war so nett, mich hierher einzuladen«, fügte er hinzu, ohne ihn jedoch nur eines Blickes zu würdigen.
Margarethe Freese war sichtlich gerührt. »Sie haben sicher gerade viel um die Ohren mit Ihrer Konzertreise. Es ist sehr freundlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, zu Saschas Beisetzung zu kommen. Er hätte â¦Â« Sie schluckte und begann von vorn. »Er hätte das zu schätzen gewusst, er hat immer mit groÃem Respekt von Ihnen gesprochen.«
Kassandra und Paul wechselten einen schnellen, verwunderten Blick, und auch Clemens Meisner schaffte es nicht ganz, seine Ãberraschung zu überspielen.
»Tatsächlich? Das freut mich.«
»Er liebte klassische Musik, wissen Sie, besonders Klavier- und Orgelkonzerte, und er war stolz darauf, Sie persönlich zu kennen. Er erwähnte sogar vor noch nicht allzu langer Zeit, dass er mit Ihnen gesprochen hat.«
Für den Bruchteil einer Sekunde versteinerte Meisner, dann hatte er sich wieder im Griff. »Ich fürchte, da müssen Sie sich irren. Sascha und ich hatten schon ewig keinen Kontakt mehr, sosehr ich das auch bedauere.«
»Oh«, sagte Margarethe Freese, »da habe ich wohl etwas missverstanden, bitte verzeihen Sie.«
Meisner lächelte und setzte sich wieder auf seinen Platz, wobei er vermied, Paul und Kassandra anzusehen. Zwanzig Minuten vergingen, in denen Margarethe Freese sich bei Kaffee, Streuselkuchen und belegten Brötchen mit den Gästen unterhielt. SchlieÃlich stand Clemens Meisner erneut auf, diesmal ganz bewusst den Blickkontakt zu Paul suchend, und trat aus dem Wintergarten ins Freie. Paul tippte Kassandra an und bedeutete ihr mitzukommen.
Meisner stand vor einem kahlen Forsythien-Strauch in der Sonne und wirkte nicht mehr freundlich wie eben, sondern genauso feindselig wie auf dem Friedhof.
»Ah,
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