Fischland-Rache
»Das war Ihre Interpretation, nicht die des Gerichts. Wenn Sie hier sind, um meine Speisekarte rauf und runter zu essen, sind Sie herzlich willkommen. Andernfalls muss ich Sie bitten zu gehen.«
»Den Gefallen kann ich Ihnen nicht tun. Ich bin in einer offiziellen Ermittlung hier, nicht weil ich mir aus lauter Langeweile mal wieder Ihre Akte vorgenommen habe. Diesmal geht es um Mord, nicht um simplen Betrug.«
Ingas Lächeln gefror auf ihren Lippen. »Sie wollen mir jetzt aber nicht ernsthaft den Mord an Sascha Freese anhängen?«
»Das ist Ihre Interpretation«, wiederholte Dietrich spöttisch Ingas eigene Worte.
»So viele Morde sind hier ja nun nicht gerade passiert«, parierte Inga. »Ich bin gespannt: Aus welchem Grund sollte ich einen Mann umgebracht haben, den ich nicht mal kannte?«
»Sie kannten Sascha Freese nicht? Vor einigen Jahren haben Sie von ihm das Haus in Stralsund gekauft, in dem sich Ihr Restaurant befindet â weit unter Wert übrigens. Freese war schon viele Jahre zuvor im Immobiliengeschäft tätig, und mir geht die Frage im Kopf herum, ob dieser günstige Kauf nicht aus alter Verbundenheit aus der Zeit zustande kam, als Sie noch als Bankangestellte Ihre zweifelhaften Geschäfte durchgezogen haben. Das passt doch ziemlich gut zusammen â vor allem, wenn man bedenkt, dass Freese am Abend vor dem Mord im âºFischLänderâ¹ gesehen wurde.«
»Das saugen Sie sich aus den Fingern. Sie wollen mir nur auf Teufel komm raus was anhängen, weil Sie vor Jahren nicht weitergekommen sind bei mir.« Ingas Stimme klang mühsam beherrscht.
Dietrich verschränkte die Arme vor der Brust. »Hätte ich denn weiterkommen können?« Als Inga nichts erwiderte, stellte er fest: »Sie haben Sascha Freese gekannt. Was hat er an dem Abend von Ihnen gewollt? Er stand finanziell vor dem Ruin, hat er Sie mit den alten Geschichten erpresst?«
Kassandra fragte sich, weshalb Dietrich so viel Wert darauf gelegt hatte, Beweise für Ingas Wissen über Saschas Verbindung zu ihrem Vater in den Händen zu halten. Sie bot auch so genug Angriffsfläche für ihn. Andererseits waren das alles vage Vermutungen, während die Stasi-Akten in Ingas Wohnung etwas Handfestes darstellten, auch wenn er sie nicht offiziell benutzen konnte.
»Haben Sie Sascha Freese getötet?«, fragte Dietrich im selben Moment, in dem Paul hereinplatzte. Er war weniger leise gewesen als Kassandra, die bei seinem Auftauchen unvermittelt ihre Deckung verlieÃ. Sowohl Inga als auch Dietrich sahen herüber, und es musste beiden klar sein, dass Kassandra und Paul â besonders Paul â die Frage gehört hatten.
»Wir wollten eigentlich nur um zwei weitere Kannen Kaffee bitten â¦Â«, sagte Paul.
Der Kaffee! Den hatte Kassandra vollkommen vergessen.
Pauls Blick glitt wachsam von Inga zu Dietrich: »Wie kommen Sie auf diese Frage?«
»Herr Dietrich leidet unter Verfolgungswahn, was mich betrifft. Das hat etwas komplizierte Hintergründe«, erklärte Inga. »Hör bloà nicht auf ihn. Ich habe ihm schon begreiflich zu machen versucht, dass ich deinen Bruder nicht mal kannte.«
Vom Gastraum drang Geschirrklappern herein, und plötzlich stand Mirko mit einem Stapel Teller in der Tür.
»Jetzt nicht, Mirko!«, herrschte Inga ihn an. Zum ersten Mal verlor sie die Fassung.
Mirko erstarrte kurz, dann trat er samt Geschirr den Rückzug an.
»Ich kannte deinen Bruder nicht«, wiederholte Inga nachdrücklich.
Paul nickte langsam und schaffte es, dabei auszusehen, als würde er ihr zwar gern glauben, aber nicht sicher sein. Bevor er etwas erwidern konnte, schritt Dietrich ein.
»Frau VoÃ, Herr Freese, ich muss Sie bitten, die Küche zu verlassen. Was ich mit Frau Lange zu besprechen habe, beinhaltet Belange der Mordermittlung. Ich kann verstehen, dass Sie das interessiert, aber dieses Gespräch wird ohne weitere Anwesende stattfinden.«
»Das ist ein bisschen mehr als bloÃes Interesse«, gab Paul gespielt empört zurück. »Wenn mich nicht alles täuscht, hat Frau Lange hier das Hausrecht.« Er sah zu Inga. »Willst du, dass ich gehe?«
»Nein. Ich will, dass du dir die absurden Verdächtigungen von Herrn Dietrich anhörst und selbst entscheidest, wem du glaubst.«
»Was Sie beide wollen, spielt keine Rolle«, sagte Dietrich. »Entweder Sie gehen,
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