Fischland-Rache
nahm ihre Hände in seine, als könnte er ihr damit ein wenig von ihrem Kummer nehmen. Vielleicht half seine Geste sogar, denn am Ende lächelte sie ihn ein bisschen spöttisch an. »Du hättest demnach auch ein prima Motiv gehabt, deinen Bruder umzubringen.«
»Ohne diese Einzelheiten zu kennen, haben wir uns als Erstes um das Alibi von Herrn Freese gekümmert, nachdem klar war, dass der Tod seines Bruders ihn nicht sonderlich mitgenommen hat. Er hat eins«, betonte Dietrich.
Inga lächelte. »Das ist gut. Und ich muss Sie enttäuschen. Ich hab auch eins.« Sie genoss sichtlich den Ausdruck des Erstaunens, der sich auf Dietrichs Gesicht ausbreitete. »Ja, ich wusste, dass Sascha Freese das Leben meines Vaters und meiner ganzen Familie zerstört hatte. Ja, ich wäre vielleicht sogar fähig gewesen, ihn umzubringen, aber ich habâs nicht getan, weil ein Mann wie er es nicht wert ist, seinetwegen noch ein Leben zu zerstören, nämlich mein eigenes, das ich mir gerade aufgebaut hatte. Ich glaube nicht, dass mein Vater das gewollt hätte.«
»Bestimmt nicht.« Dietrichs Stimme hatte einen sanfteren Tonfall angenommen, bevor er wieder dienstlich wurde. »Sie sagten, Sie hätten ein Alibi.«
»Ich war in Schwerin im Fernsehstudio bei der Aufzeichnung einer meiner Kochshows. Kochen Sie? Falls ja: Sie kriegen jede Menge tolle Fischrezepte, wenn Sie sich die Sendung nächste Woche ansehen«, sagte Inga.
»Das hätte ich gern etwas präziser«, verlangte Dietrich, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. »Von wann bis wann waren Sie in Schwerin?«
»Die Aufzeichnung begann um acht, wir mussten wegen eines Kameradefektes diverse Einstellungen wiederholen, anschlieÃend gab es noch eine Feier mit dem gesamten Team, sodass ich das Studio erst gegen halb zwölf verlieÃ. Ich war zu müde zum Zurückfahren und habe mir stattdessen ein Hotelzimmer genommen. Die Rechnung musste ich beim Sender einreichen, aber Sie können gern direkt beim Hotel nachfragen, es war das âºSchlafwohlâ¹ am Rand der Altstadt. Am nächsten Morgen um sieben habe ich wieder ausgecheckt. Ich nehme an, das deckt den Zeitpunkt des Mordes ab?«
Dietrich kniff die Augen zusammen. »Das tut es.« Dann sagte er verärgert: »Wenn Sie das gleich erzählt hätten, als ich gefragt habe, ob Sie Sascha Freese getötet haben, hätten wir uns das alles sparen können. Wieso haben Sie dieses Spiel gespielt?«
Inga zuckte mit den Schultern. »Dass die Verbindung meines Vaters zu Sascha Freese zur Sprache kommen würde, konnte ich nicht ahnen. Was Ihren an den Haaren herbeigezogenen Verdacht angeht â ich gebe zu, dass ich Sie zappeln lassen wollte. Natürlich hätte ich früher oder später gesagt, dass ich es gar nicht gewesen sein kann. Den Zeitpunkt wollte ich selbst bestimmen. Werde ich jetzt festgenommen, weil ich die Ermittlungen behindert habe?«, fragte sie süffisant.
Dietrich lieà sich nicht provozieren. Er stand auf. »Die Sache mit Ihrem Vater tut mir sehr leid, Frau Lange. Trotzdem werde ich Ihre Angaben überprüfen, Sie verstehen das sicher.« Er nickte allen kurz zu. »Wiedersehen.«
Nach Dietrichs Abgang war es einen Moment ruhig, bis Paul sich erhob und Inga daraufhin ebenfalls aufstand. »Du musst endlich zu deiner Mutter, ich weiÃ, aber vielleicht können wir gelegentlich miteinander reden? Ich würde gern so viel erfahren â wie mein Vater war und was ihr zusammen gemacht habt.«
Paul sah auf Inga hinunter. »Dein Vater war ein groÃartiger Mensch. Ich habe mit niemandem sonst so viel gelacht wie mit ihm. Und wir haben noch jede Menge Zeit, über alles zu reden.«
Als Paul und Kassandra in den Wintergarten zurückkehrten, schien Margarethe Freese sie gar nicht vermisst zu haben. Sie war in ein reges Gespräch mit Bruno und einer früheren Nachbarin vertieft, in dem es um alles Mögliche ging, nur nicht um Saschas Tod.
Am Abend bestand sie darauf, schon am nächsten Tag nach Schwerin zurückzufahren. »Es ist gut, dass Sascha nach Hause zurückgekehrt ist â und es war auch gut, dass ich nach so langer Zeit noch einmal hier war. Aber das war nun definitiv das letzte Mal.« Sie sah zu Paul. »Ich habe die Grabpflege veranlasst, du musst dich um nichts kümmern. Ich rechne dir hoch an, dass du bei seiner Beerdigung warst, wenn auch nur
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