Fish im Trüben
Thanh aus dem »Baria« kamen. Aus der Nähe sah ich, daß das Mädchen eine Eurasierin war. Ich verfluchte mich selbst, daß ich das nicht früher bemerkt hatte, das war der Preis der Ethnozentrik. Ricky Tan hatte es offenbar sofort erkannt.
Ich glaubte allerdings keine Sekunde lang, daß Ricky Tan allein arbeitete; ich glaubte, die zarte Hand seines Mentors, Laurie Saunders, zu erkennen. Er hatte jetzt sicher seine Story.
Mrs. Brabazon entschuldigte uns und führte mich in ihr Arbeitszimmer. Sie erzählte mir, daß Dinh das Mädchen sei, das Jack kennengelernt hatte, als er in Vietnam diente, und daß My aus dieser Verbindung hervorgegangen war. Er hatte nach ihr gesucht, als er 1979 mit einer Parlamentsdelegation zurückkam, und Dinh hatte Jack bedrängt, sie und seine Tochter nach Australien zu holen. Dinhs Bruder, Nguyen Van Thanh, gehörte mit zum Geschäft.
Das dürfte Brabazon gepaßt haben, dachte ich. Sie in Turramurra unterzubringen, hätte sich mit Deborah etwas heikel gestalten können, und der Schwager konnte sich an seiner Stelle um die kleine Familie kümmern. Zu Jacks Unglück fand der neue Schwager sehr schnell sein Niveau in seiner neuen Heimat — ganz unten. Ich war sicher, daß Jack das vorhergesehen haben mußte, aber das Risiko durch Thanh lieber in Kauf nahm, als den Brabazon-Frauen die ganze Geschichte zu offenbaren.
Ich bezweifelte, daß Dinh Barbara Brabazon über alle Aktivitäten ihres Bruders informiert hatte, und ich hatte keinerlei Absichten, der alten Dame diesen großen Augenblick kaputtzumachen. Wenn Saunders an der Story arbeitete, dann würde das sowieso nicht lange geheim bleiben.
»Haben Sie herausgefunden, was in der Nacht geschah, als Jack starb?« fragte ich.
»Dinh sagte, Jack habe in ihrem Haus einen Herzinfarkt gehabt und sei sofort tot gewesen. Sie wollte die Polizei anrufen, aber ihr Bruder hat es nicht zugelassen. Er fuhr Jacks Auto nach Strathfield und ließ es dort stehen.«
Sie balancierte am Abgrund eines gefährlichen Schweigens, aber ich konnte ihr keinen Vorwurf machen. Die neue Verbindung würde auch kompliziert genug werden, ohne daß ich Dinh fragte, ob sie beim Transport von Jacks Leiche geholfen hatte. Oder ob Jack hätte gerettet werden können, wenn sie einen Arzt geholt hätten. Aber solche Fragen verstummen nie.
»Dinh und My werden jetzt bei mir leben«, sagte sie. Sie sah um Jahre jünger aus: Jack mochte sie verlassen haben, aber sie hatte einen Teil von ihm.
Weil es so gut ausgegangen war, gab sie mir einen kleinen Bonus. Ich fragte nicht, wieviel Ricky Tan abgesahnt hatte. Es wäre unhöflich gewesen, und außerdem hätte die lang verlorene Enkelin ihre Tage über einem Restaurant in Cabramatta verbringen können, wenn Rickys scharfe Augen und unternehmerische Begabung nicht gewesen wären. Oder zumindest, bis ihr Onkel sich entschlossen hätte, Geld aus ihr zu machen.
Saunders Hinterlist war das einzige Ungeklärte an diesem Fall. Und das war nicht das erste Mal, daß er mich beschissen hatte. Ich regte mich auf dem ganzen Heimweg darüber auf; dann rief ich Lizzie an und gab ihr die Exklusivstory über den Fall Brabazon.
Verpfuschte Lehen
»Sucht mich nicht, ich komme nicht zurück. Sean.« stand auf dem aus einem Schulheft gerissenen Blatt.
Der Mann, der es mir gab, wirkte so erledigt, als ob ihn sein Job aufgefressen oder sein Leben schon vor zu langer Zeit eine falsche Wendung eingeschlagen hätte. Dean Somers hatte aufgeplatzte Äderchen in den Wangen und Säcke unter den Augen.
»Er ist unser einziges Kind«, sagte er und reichte mir ein Foto.
»Ist er alt genug, von zu Hause abzuhauen?« fragte ich, als ich den dünnen, rotblonden Teenager mit dem ausdruckslosen, verschlossenen Blick betrachtete.
»Ist man jemals alt genug, sein Zuhause zu verlassen?« fragte er, und ich revidierte meine Meinung leicht nach oben hin. Als er mein Grinsen bemerkte, sagte er: »Offiziell ja. Er ist sechzehn. Aber er ist ein sehr junger Sechzehnjähriger.«
»Wie finanziert er das?«
»Er hat Kreditkarten.«
»Also könnte er eine ganze Weile allein klarkommen. Es sei denn, sie drehen ihm den Hahn ab...«
»Das wollen wir nicht«, sagte er rasch. »Wenn er zurückkommt, dann soll er das freiwillig tun. Ich engagiere Sie nicht, damit Sie ihn von der Straße weg kidnappen; ich möchte, daß Sie ihn finden und mit ihm reden. Sehen, ob es ihm gutgeht.«
»Wie nimmt es seine Mutter auf?«
Ein Ausdruck, der von einer Verdauungsstörung
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