Fish im Trüben
kannte die meisten der einflußreichen Vietnamesen von Cabramatta, also bat ich ihn um einen Gefallen. Wir gingen zurück in sein Büro, und er rief den Redakteur einer vietnamesischsprachigen Zeitung an und fragte ihn aus, in welchen Lokalen der Gegend sich Jack Brabazon aufgehalten haben könnte und wer seine speziellen Freunde sein könnten.
Er erreichte nichts.
»Weiß er es nicht, oder redet er nicht?« fragte ich.
»Er hat Angst, denke ich. Sehr interessant.«
Bevor ich ging, bat er mich, ihm Bescheid zu geben, falls ich etwas Verdächtiges über Brabazons Tod herausfand.
»Ist dein Interesse privat oder politisch?«
»Das Private ist politisch«, sagte er, und wir lachten, als wir uns an die Sechziger erinnerten. »Eigentlich ein bißchen von beidem. Ich weiß, daß er sich manchmal wie Graf Koks aufführte, aber als er in Nam und weg von seiner Mutter war, war er wirklich ein liebenswerter Bastard. Sehr witzig. Und charmant, wenn es ihm paßte. Ich nehme an, daß er dadurch auch Deborah White an die Wäsche gehen konnte. Wie wird sie denn damit fertig?«
»Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Irgendwas ist da ganz sonderbar. Brabazons Frauen kämpften um ihn, als er lebte, würde ich sagen, und ich denke, daß da immer noch eine Art Schlacht im Gange ist, aber sie lassen nichts davon durchblicken.«
Deborah Brabazons Reaktion auf den Tod ihres Mannes nagte an mir, also verabredete ich mich noch mal mit ihr. Sie war wenig begeistert, aber einverstanden, vielleicht, weil es einen schlechten Eindruck gemacht hätte, wenn sie die Untersuchung behinderte.
»Der Autopsiebericht sagt, daß er vietnamesisch gegessen hat«, sagte ich, als ich es mir mit einer Tasse Kaffee auf ihrer englischen Chintzcouch bequem gemacht hatte.
Sie erstarrte. »Das macht er oft... hat er oft. Er war ein alter Vietnamfan, wissen Sie.«
»Sie waren nicht eingeladen?«
»Ich mache mir nichts daraus«, sagte sie und überließ es mir herauszufinden, ob sie die Politik, die Leute oder die Küche meinte.
»Hatte er ein Lieblingsrestaurant?«
»Nicht daß ich wüßte. Wirklich, ich weiß es nicht. Dieser Teil seines Lebens war... sein eigener.«
»Seine Mutter will wissen, wo er seine letzten Stunden verbrachte, Mrs. Brabazon. Sind Sie nicht neugierig?«
Sie drehte sich um und schaute aus dem Fenster, so daß ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. »Das ändert ja nichts«, sagte sie. »Das bringt ihn nicht zurück.«
Dagegen konnte ich nichts einwenden.
Ich kam in mein Büro zurück und fand eine Nachricht von Laurie Saunders vor. »Das >Baria<-Restaurant in der John Street, Cabramatta«, lautete sie. »Anscheinend ging er seit Jahren dorthin. Und vergiß nicht: Das ist meine Story.«
An diesem Abend kreuzte Ricky Tan in meinem Büro auf — dünn, angespannt und todschick in einer weitgeschnittenen Hose mit Bügelfalte, spitzen Schuhen und James-Dean-Frisur. Echt multikulturell.
»Laurie sagt, Sie wollen Journalist werden.«
»Ja, aber bisher ist mein Englisch noch nicht gut genug. Ich lerne immer noch. Und ich koche in einem Nudelrestaurant, Mr. Fish.«
»Also brauchen Sie die Knete?«
»Knete?«
»Alter australischer Slangausdruck für Geld«, erklärte ich.
»Ah«, sagte er und speicherte es ab. »Und vielleicht auch etwas, das man ein Wortspiel nennt, Mr. Fish?«
Laurie hatte recht: Der Junge war schnell.
»Was soll ich machen, Mr. Fish?«
Ich dachte die ganze Zeit, ich hätte Ricky Tan schon mal irgendwo gesehen, bis ich bemerkte, daß er mich an Charlie Chans Sohn Nummer eins erinnerte, voller verrückter Ideen und gefährlicher Begeisterung. Ich hoffte, daß ich falsch lag.
»Ich möchte, daß Sie jeden fotografieren, der im >Baria< rein- und rausgeht«, sagte ich. »Und lassen Sie sich nicht erwischen.«
»Wonach suchen Sie, Mr. Fish?«
»Ich weiß es nicht genau.«
»Sie wissen es nicht?« Ricky war höflich; weder erhob er seine Stimme, noch sagte er mir, ich sei verrückt.
»Nein, aber ich könnte es herausfinden, wenn ich es sehe«, sagte ich, und er ging, darüber nachgrübelnd, weg.
Am nächsten Tag erhielt ich zur Mittagszeit einen Satz Fotoabzüge von Ricky Tan, also bat ich Barbara Brabazon, mich mit jemandem im Polizeipräsidium zusammenzubringen, der sich im Cabramatta-Milieu auskannte.
Ein paar Stunden später war ich im Büro eines adretten, jungen Undercover-Polizisten, der sich weigerte, seinen Namen zu nennen. Er brachte die Fotos weg und kam mit diversen Namen zurück. Ich war
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