Fish im Trüben
Aktenschränke und mein Rettet-Bondi-Beach-Poster in sich aufnahm.
»Ihre Tochter?« half ich nach.
»Ah, sie scheint aus dem Haus verschwunden zu sein, in dem sie mit ein paar Studenten lebt.«
»Verschwunden?« fragte ich. »Soll das heißen, Sie glauben, daß sie nicht aus eigenem Willen gegangen ist?«
»Ich weiß es nicht. Wir waren immer in Verbindung, aber beim letzten Mal, als ich dort im Haus anrief, sagten sie, sie wäre ganz plötzlich gegangen, und niemand scheint zu wissen, wohin. Ich habe sämtliche Verwandte und Freunde angerufen. Nichts. Es paßt überhaupt nicht zu ihrem Charakter, so verantwortungslos zu sein.«
»Wie alt ist sie?«
»Claire ist zwanzig.«
»Viele zwanzigjährige Mädchen sagen ihren Eitern nicht, wohin sie gehen«, sagte ich. »Besonders, wenn sie nicht zu Hause wohnen.«
Er war ein wenig entrüstet. »Darüber bin ich mir sehr wohl im klaren, Mr. Fish, aber ich neige zu der Ansicht, daß wir uns sehr nahestehen.«
Er bemerkte meinen Gesichtsausdruck und sagte: »Ich weiß, daß die meisten Eltern das behaupten, aber in unserem Fall stimmt das.«
»Steht sie ihrer Mutter auch nah?«
»Meine Frau Louise ist vor fünf Jahren gestorben. Ich habe Claire allein erzogen.«
»Hat sie in letzter Zeit irgendwas aus der Fassung gebracht?«
»Nicht daß ich wüßte«, sagte er, aber er hatte einen Bruchteil zu lange gezögert: Genau wie zu Grangers Job gehörte auch zu meinem die Suche nach der Wahrheit, und ich wußte sofort, daß eine Spur davon in diesem kurzen Schweigen lag.
»Ist Claire ein Mädchen, das auf sich selbst aufpassen kann?« fragte ich.
»Sie ist sehr... verletzlich. Zu sensibel vielleicht. Sie neigt zum Grübeln, macht aus einer Mücke einen Elefanten. Ihre Mutter war genauso. Louises Tod hat Claire schwer getroffen, aber sie schien darüber hinwegzukommen, besonders, seit sie zur Universität ging und ein paar neue Freunde fand. Dann das...«
Er starrte in die Ferne, dachte vielleicht an seine Frau, aber ich konnte nichts in seinem Gesicht erkennen. Manche Männer finden sensible Frauen romantisch; andere möchten es ihnen lieber austreiben. Am Ende dieses Falles würde ich wahrscheinlich wissen, welche Beschreibung auf den Professor paßte, aber bis jetzt war ich noch nicht hinter seine offizielle Fassade gedrungen.
Er kehrte wieder in die Gegenwart zurück und sagte: »Ich nehme an, die Antwort auf Ihre Frage lautet nein. Meine Tochter hat kein besonders gutes Rüstzeug für die reale Welt.«
»Geld?« fragte ich.
Er sah mich schockiert an.
»Nicht für mich«, sagte ich geduldig. »Besitzt sie eigenes Geld?«
Er war erleichtert. Und geizig, dachte ich.
»Sie erhält Zugang zu einem Treuhandvermögen ihrer Mutter, wenn sie einundzwanzig wird. Bis dahin zahle ich ihr Unterhalt, und sie hat Kreditkarten und Vollmacht über ein gemeinsames Konto.«
»Hat sie größere Summen von dem Konto abgehoben?«
»Nein, keinen Cent. Und sie benutzt anscheinend auch nicht ihre Kreditkarten.«
Ein sensibles, weltfremdes Mädchen war also irgendwo ohne Geld auf sich selbst gestellt. Es fing an, interessanter auszusehen als die gewöhnliche durchgebrannte Tochter, die beim falschen Typen einzog oder in den Nachtclubs nach verbotenen Substanzen und schlechter Gesellschaft suchte.
Ich wurde sogar noch neugieriger, als er mir ein Foto von Claire Granger zeigte. Sie sah reizend aus — wie eine tragische Schwindsüchtige aus einem viktorianischen Roman. Sie hatte die Knochen ihres Vaters, aber die mit langen, dichten Wimpern umsäumten, riesigen goldbraunen Augen einer anderen Person, leichenblasse Haut und dickes, blauschwarzes Haar, das wie bei einer Ballettänzerin zurückgekämmt war.
»Sie ist schön«, sagte ich.
Es gefiel ihm nicht, daß ein mieser Schnüffler sich lasziven Gedanken über sein ein und alles hingab; sie war für Besseres geboren. Der Charme verebbte leicht, und eine glaubhaftere Gereiztheit trat zutage. Aber er brauchte mich, also sagte er nur: »Sie sieht ihrer Mutter ähnlich.«
Als ich zu dem Studentenhaus in Newtown rausfuhr, dachte ich über den Geldaspekt nach. Das konnte vieles bedeuten. Wenn jemand das Mädchen gekidnappt hatte, dann hätte er bereits eine Forderung gestellt oder das Mädchen gezwungen, Geld von ihrem Konto abzuheben. Wenn sie einfach nur weggelaufen war, konnte sie einen Job angenommen haben oder von einem Freund ausgehalten werden. Wenn das der Fall war, dann widersprach ihr Schweigen und ihre Weigerung, das Geld
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