Fish vor die Hunde
hatte, und legte auf. Also noch mal früh aufstehen und raus nach Randwick.
Da ich wegen meiner Reaktion auf die Bewerbung um das Stipendium immer noch ein etwas schlechtes Gewissen hatte, rief ich Julia an. Sie hatte offenbar beschlossen, das Ganze einfach zu vergessen, und fragte besorgt, wie es mir ginge. Ich erzählte ihr, daß ich ein gut Teil der Schuldgefühle im Suff ertränkt hätte. Sie hatte ebenfalls eine Neuigkeit: Sie war gebeten worden, für eine von der Regierung organisierte Wanderausstellung, die zuerst in ganz Australien und später in Amerika gezeigt werden sollte, eine Skulptur anzufertigen. Da es die erste nationale Anerkennung war, die sie erhielt, war sie ganz aufgeregt. Ansonsten legte sie gerade letzte Hand an einige Arbeiten für eine Ausstellung, die in der kommenden Woche in einer Galerie in ihrem Stadtteil eröffnet wurde. Ich machte die passenden Töne dazu, aber das Ganze ließ Schlimmes erahnen: Es würde sich auf ihrer Bewerbung für die Italienreise viel zu gut machen.
Julia, die von meinen schäbigen Hintergedanken nichts ahnte, fragte, ob ich vorbeikommen wolle, aber ich lehnte höflich ab. Meine Nerven waren immer noch strapaziert, und ich mußte mal dringend früh ins Bett.
Nebel hing noch über der Stadt, als ich am nächsten Morgen den Valiant Warmlaufen ließ und nach Randwick aufbrach, um Macka auf dem Weg zur Arbeit — wo immer das auch sein mochte — zu beschatten. Ich fand eine Snackbar, die schon geöffnet hatte, und kaufte mir zum Wachbleiben einen Kaffee und ein paar Gebäckstücke mit grellrosa Zuckerguß. Der Dunst verwandelte die riesigen alten Bäume entlang der Anzac Parade in gespenstische Wächter, und bald hatte ich vergessen, daß ich ausgesprochen ungern so früh unterwegs bin.
Ich postierte mich am Ende von Mackas Straße, las Zeitung und verdrückte tapfer das zähe Gebäck. Ich freute mich darüber, daß Geschworene eine Gang von Jugendlichen für schuldig befunden hatten: Die Kids hatten eine Telefonnummer, die ein Kontaktsuchender an die Wand eines berüchtigten Toilettenhäuschens in Redfern geschrieben hatte, angerufen und ein Stelldichein mit ihm verabredet und ihn zu Tode getreten, als er aufgekreuzt war. Zwei von ihnen waren noch so jung, daß ihre Namen nicht genannt wurden. Was für ein Horror, Lehrer zu sein, dachte ich. Es war bestimmt unmöglich, solchen Ungeheuern irgendwas Komplizierteres als Nasenbohren und Arschkratzen beizubringen.
An manchen Tagen wirkt sich die Zeitung verheerend auf meinen Blutdruck aus, und ich überlege mir, ob ich nicht das Abonnement kündigen soll. Ich erinnere mich noch gut an den Hippie, den ich eines Morgens mitgenommen und mit irgendeinem internationalen Ereignis zu Tode gelangweilt hatte. Er wußte noch nichts davon, weil er nie eine Zeitung las. »Ach Mann«, hatte er gesagt, »wenn irgendwas Wichtiges passiert, krieg ich’s doch immer von irgendnem Typen wie dir erzählt.«
Damals war ich schockiert gewesen, aber manchmal beneidete ich diesen Hippie. Ich bin von gedruckten Meldungen genauso abhängig wie von Koffein. Und obwohl ich mittlerweile in einer ganzen Reihe von Nachrichtenfabriken gearbeitet habe und genau weiß, daß die Hälfte des täglichen Outputs reine Fiktion ist, bin ich nach wie vor süchtig.
Das plötzliche Auftauchen von Mackas BMW verscheuchte meine Erinnerungen. Es war Viertel vor acht. Der Verkehr nahm jetzt zu. Da ich Werbung am Morgen unerträglich finde, stellte ich ABC ein und hörte mir die Nachrichten und einen Teil des tagespolitischen Magazins an. Wie immer fluchte ich ausgiebig über die Dämlichkeit der meisten Interviewer; viele von ihnen glaubten offenbar, daß es die Welt erst seit etwa 1975 gab und man nichts von dem, was davor passiert war, zu wissen brauchte. Und daß man sich um Leute, die schon so alt waren, daß sie sich noch daran erinnern konnten, keinen Kopf machen mußte, weil sie sowieso zu alt waren.
Scheiße, dachte ich, ich werde langsam genauso wie die alten Prinzipienreiter, die ständig an mir herumnörgelten, als ich noch ein Nachwuchsjournalist war.
Ich weiß nicht, über welchen Sender Macka fluchte, während er in die Darcey Avenue abbog, dann Richtung South Dowling und weiter bis zum Industrievorort Zetland fuhr. Dort nahm er in einer tristen, baumlosen Straße mit lauter kleinen Fabriken und Lagerhallen die Einfahrt zur Firma »Pluto Foods«. Ich parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite, schob ein Tape von Aretha Franklin in den
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