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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Ufer. Die Stelle, wo er das Tau befestigte, war nicht mehr als zwei Schiffslängen von meinem Versteck entfernt. Zwei andere Männer mit Messern in der Hand sprangen heraus und kletterten auf die Kaimauer hinauf. Oben trennten sie sich und liefen in entgegengesetzter Richtung ein Stück die Straße entlang, um dort jeweils Posten zu beziehen. Einer von beiden suchte sich ausgerechnet einen Punkt fast genau über mir aus. Ich machte mich ganz klein und klammerte mich in meinen Gedanken an Fäustel, wie ein Kind zum Schutz gegen Alpträume sein Lieblingsspielzeug an sich drückt. Ich musste zu ihm, deshalb durfte ich nicht entdeckt werden. Das eine machte das andere irgendwie wahrscheinlicher.
    Weitere Männer sprangen hastig über Bord, und jede Kleinigkeit an ihnen wirkte vertraut. Ich rätselte, was sie bewogen haben mochte, hier anzulegen, bis ich sah, wie leere Wasserfässer entladen wurden, die man mit hohlem Kollern die Straße entlangrollte. Der Teil meines Verstands, der ganz dem Denken
Chades folgte, registrierte, wie gut sie sich in Ingot auskannten, immerhin hatten sie fast genau gegenüber dem Brunnen festgemacht. Dies war also nicht das erste Mal, dass das Schiff hier seine Wasservorräte erneuerte. »Vergifte den Brunnen, bevor du gehst«, riet Chades Stimme in meinem Kopf. Aber ich besaß weder die Mittel noch den Mut.
    Anscheinend war nach und nach die gesamte Besatzung an Land gegangen, um sich die Beine zu vertreten. Ich belauschte eine Auseinandersetzung zwischen einem Mann und einer Frau. Er wollte die Erlaubnis haben, Feuer zu machen, um Fleisch zu braten. Sie verbot es mit der Begründung, ein Feuer sei von hier aus weithin sichtbar. Das Frischfleisch stammte vermutlich von ihrem letzten Überfall, der demnach ganz in der Nähe und erst vor kurzem begangen worden sein musste. Sie machte einen Gegenvorschlag - welchen, bekam ich nicht richtig mit, aber ich konnte mir denken, was sie meinte, als zwei volle Bierfässer ausgeladen wurden. Jemand brachte einen ganzen Schinken, den er mit dumpfem Klatschen von der Schulter auf eins der aufrecht stehenden Fässer fallen ließ. Er zog ein Messer und begann, davon dicke Scheiben abzusäbeln, während ein anderer das Fass daneben anschlug. Augenscheinlich richtete man sich auf einen längeren Aufenthalt ein. Wenn sie später doch ein Feuer anzündeten oder wenn es hell wurde, boten Stamm und Wurzelwerk eines angetriebenen Baums keine Deckung mehr. Ich musste sehen, dass ich wegkam.
    Auf dem Bauch kroch ich durch Nester von Sandflöhen und glitschige Algenhaufen, schlängelte mich zwischen Treibgut und Steinen entlang, schob mich über Sand und Muschelgrus. Ich hätte schwören können, dass jeder Aststumpf versuchte, mich festzuhalten und jeder hochkantige Steinblock mir den Weg zu
versperren. Die Flut hatte eingesetzt. Wellen brandeten gegen die Felsen, und der Wind trug die Gischt heran. Im Nu war ich nass bis auf die Haut. Ich bemühte mich, meine Bewegungen so abzustimmen, dass die leisen Geräusche, die ich verursachte, vom Lärm der Brecher übertönt wurden. An den Entenmuscheln, die auf vielen Felsen hafteten, zerschnitt ich mir Hände und Knie, während Sand die Wunden ausfüllte. Der Stock wurde zu einer ungeheuren Bürde für mich, aber ich war nicht bereit, auf meine einzige Waffe zu verzichten. Irgendwann konnte ich die Piraten nicht mehr sehen und auch nicht hören, trotzdem ging ich nicht das Wagnis ein, mich aufzurichten, sondern robbte weiter von einer Deckung zur nächsten. Endlich kletterte ich zur Straße hinauf, überquerte sie geduckt, drückte mich im Schatten eines Lagerschuppens an die Wand und blickte mich um.
    Alles lag still da. Ich wagte mich zwei Schritte auf die Straße hinaus, aber selbst von dort konnte ich weder das Schiff noch die Posten ausmachen. Durfte ich daraus den Schluss ziehen, dass sie mich ebenfalls nicht sehen konnten? Ich holte tief Luft und spürte nach Fäustel, wie manche Leute nach der Geldbörse griffen, um sich zu vergewissern, ob ihr Geld noch da ist. Er war fern und schwach, sein Bewusstsein wirkte wie ein stiller Teich. »Ich komme«, flüsterte ich zaghaft, um ihn nicht aufzuschrecken, und machte mich wieder auf den Weg.
    Der Wind war unbarmherzig, meine salzwasserdurchtränkte Kleidung klebte und scheuerte an meinem Körper und die nassen Schuhe machten jeden Schritt zur Qual. Doch ich dachte nicht einmal daran aufzugeben. Ich trabte wie ein Wolf voran und war ständig auf der Hut, mit offenen Augen

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