Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
abgrundtiefe Leere verdrängte die blinde Wut, die mich überkommen hatte. So viele Tode in einer Nacht und alles doch so bedeutungslos, außer für mich.
    Ich ließ die beiden anderen Toten in der Brandung liegen. Sollten sie die Wellen oder die Möwen beseitigen. Ich kehrte ihnen den Rücken und ging meines Wegs. Nichts, ich hatte nichts von ihnen gespürt, als ich sie tötete. Keine Todesangst, keine Wut, nicht einmal Verzweiflung. Dinge waren sie gewesen, unbelebte Gegenstände. Und als ich zu meinem langen Rückmarsch nach Bocksburg aufbrach, fühlte ich mich selbst innerlich wie abgestorben. Vielleicht, dachte ich, ist die Entfremdung eine Seuche, und ich habe mich mit ihr angesteckt.
    Von der folgenden Reise ist mir kaum etwas in Erinnerung geblieben. Ich legte die ganze Strecke zu Fuß zurück, und ich fror, war erschöpft und hungerte. Es gab keine weiteren Zusammenstöße mit Entfremdeten, und die wenigen anderen Reisenden,
denen ich unterwegs begegnete, zeigten ebenso wenig Neigung wie ich, das Wort an einen Fremden zu richten. In meinem Kopf hatte nichts anderes mehr Platz als der Gedanke, nach Bocksburg zurückzukehren. Und zu Burrich. Zwei Tage nach dem Beginn des Frühlingsfestes war ich am Ziel. Die Wachen am Tor wollten mich erst nicht passieren lassen. Ich schaute sie wortlos an.
    »Der Fitz«, stieß einer von ihnen hervor. »Aber du sollst doch tot sein.«
    »Halt den Mund«, schnauzte der andere. Es war Gage, ein alter Bekannter, und er sagte schnell: »Burrich ist verletzt. Er liegt im Hospital, Junge.«
    Ich nickte und ging vorbei.
    Während all meiner Jahre in Bocksburg war ich nie im Hospital gewesen. Burrich und kein anderer hatte meine Kinderkrankheiten und kleinen Blessuren kuriert. Doch ich kannte den Weg. Ohne Augen für die Feiernden schritt ich durch das Festtagsgewimmel und fühlte mich plötzlich, als wäre ich wieder sechs Jahre alt und gerade erst nach Bocksburg gekommen. Hinter Burrich im Sattel sitzend, hatte ich mich den ganzen weiten Weg von Mondesauge an seinem Gürtel festgeklammert, während er mit seinem aufgerissenen und verbundenen Bein voranritt. Doch nicht einmal hatte er mich geheißen, hinter einem anderen in den Sattel zu steigen; auch hatte er es keinem anderen überlassen, auf mich aufzupassen. Ich bahnte mir den Weg zwischen all den Leuten mit ihren Glöckchen, Blumen und süßen Kuchen hindurch und gelangte zum inneren Burgbereich. Hinter den Baracken lag ein einzelnes Gebäude mit weiß gekalkten Mauern. Da niemand da war, ging ich ungehindert durch das Wartezimmer in den sich dahinter befindlichen Krankensaal.
    Der Boden war mit aromatisch duftenden Kräutern und Gräsern
bestreut, und die großen Fenster ließen eine wahre Flut von Licht und Frühlingsluft herein, trotzdem vermittelte der Raum mir das Gefühl von Eingesperrtsein und Krankheit. Dies war kein guter Ort für Burrich. Die Betten waren alle leer, bis auf eins. Kein Soldat meldete sich während des Frühlingsfestes krank, außer er trug bereits buchstäblich den Kopf unter dem Arm. Burrich lag im flutenden Sonnenlicht und mit geschlossenen Augen auf einer schmalen Pritsche. Ich hatte ihn nie so still erlebt. Er hatte die Decken weggeschoben, und man sah den Verband um seine Brust. Ich näherte mich leise und setzte mich neben seinem Bett auf den Boden. Er ließ nicht erkennen, ob er mein Kommen bemerkt hatte, aber ich konnte ihn spüren, und der Verband hob und senkte sich unter seinen langsamen Atemzügen. Ich nahm seine Hand.
    »Fitz«, sagte er, ohne die Augen zu öffnen, und erwiderte meinen Griff.
    »Ja.«
    »Du bist zurück. Du lebst.«
    »Ja. Ich bin sofort hergekommen, so schnell ich konnte. O Burrich, ich hatte Angst, du wärst tot.«
    »Das Gleiche dachte ich von dir. Die anderen sind alle schon vor Tagen hier eingetroffen.« Er rang beinahe um Luft. »Natürlich hatte der Bastard ihnen allen Pferde dagelassen.«
    »Nein«, erinnerte ich ihn, ohne seine Hand loszulassen, »ich bin der Bastard, weißt du nicht mehr?«
    »Tut mir leid.« Er hob die Lider. Sein linkes Auge war blutunterlaufen. Er versuchte zu lächeln, so gut es seine geschwollene linke Gesichtshälfte nur erlaubte. »Bei El, wir sind ein feines Paar. Du solltest ein Breipflaster auf die Backe tun. Der Kratzer ist entzündet. Sieht aus wie von einem Tier.«

    »Entfremdete«, begann ich, aber dann brachte ich es nicht fertig, von allem anderen zu erzählen. Ich sagte nur leise: »Er hat mich nördlich von Ingot abgesetzt,

Weitere Kostenlose Bücher